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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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wieder vereinigen werde. Sie dachte später bei diesen Wor¬
ten um so lebhafter an den Tod ihrer Mutter, als viele der
Jünglinge bald nachher in den Krieg ziehen mußten.

Sie kannte seit ihrer zartesten Kindheit nur Leiden und
Entbehrungen. Zwar giebt sie ihrer Stiefmutter, welche bald
die Stelle der eigenen vertrat, ein gutes Zeugniß, desto
schlimmer war sie aber mit dem Vater daran, vor welchem
sie geradezu die Flucht ergriff, wenn er von seiner Reise zurück¬
kehrend die Branntweinflasche auf den Tisch warf, seine Kin¬
der Hunde nannte, und jede Gelegenheit benutzte, seine ganz
verschüchterte Tochter um der geringfügigsten Ursachen willen
zu mißhandeln. Insbesondere ist ihr ein schrecklicher Auftritt
in Erinnerung geblieben, welcher dadurch herbeigeführt wurde,
daß er ihr befahl, während der Nacht sein Pferd auf einer
Wiese neben einem Acker zu hüten, und zu verhindern, daß
dasselbe nicht von den Garben fresse, wenn sie nicht halbtodt
geschlagen werden wolle. Sie strengte daher alle Kräfte an,
um dieser Drohung zu entgehen, und wurde dennoch unbarm¬
herzig von ihm geschlagen, als sie seine Frage, ob sie das
Pferd zur Tränke geführt habe, mit dem Zusatz verneinte, daß
sie alsdann nicht das Pferd habe vom Acker zurücktreiben
können. Sie bebte daher bei jedem Anlaß zitternd vor dem
Wüthrig zurück, vor welchem sie sich so viel als möglich ver¬
barg, daher sie auch stets in Angst lebte, und ihrem gepre߬
ten Herzen durch Weinen Luft machte. Vom Schulbesuch
konnte demnach kaum die Rede sein; ja sie mußte theils durch
Bettelei, theils durch den Verkauf von getrockneten Fischen
einen kümmerlichen Erwerb schaffen, wenn der Vater auf Rei¬
sen war, und die Seinigen zu Hause geradezu darben ließ.
Schon frühzeitig mußte sie bei einem Bäckermeister als Kin¬
dermagd dienen, sah sich jedoch durch Erfrieren der Füße ge¬
nöthigt, in das älterliche Haus zurückzukehren, um nach er¬
folgter Heilung bei einem Schmied in Dienst zu treten, wo
sie neben schwerer, fast ihre Kräfte übersteigender Arbeit noch
obenein eine äußerst harte Behandlung erfuhr, indem ihr die
Frau desselben oft Schläge auf den Kopf gab. Sie litt da¬
her oft an den heftigsten, fast betäubenden Kopfschmerzen,
und wenn sie auch außerdem nicht mit besonderen Krankheits¬

wieder vereinigen werde. Sie dachte ſpaͤter bei dieſen Wor¬
ten um ſo lebhafter an den Tod ihrer Mutter, als viele der
Juͤnglinge bald nachher in den Krieg ziehen mußten.

Sie kannte ſeit ihrer zarteſten Kindheit nur Leiden und
Entbehrungen. Zwar giebt ſie ihrer Stiefmutter, welche bald
die Stelle der eigenen vertrat, ein gutes Zeugniß, deſto
ſchlimmer war ſie aber mit dem Vater daran, vor welchem
ſie geradezu die Flucht ergriff, wenn er von ſeiner Reiſe zuruͤck¬
kehrend die Branntweinflaſche auf den Tiſch warf, ſeine Kin¬
der Hunde nannte, und jede Gelegenheit benutzte, ſeine ganz
verſchuͤchterte Tochter um der geringfuͤgigſten Urſachen willen
zu mißhandeln. Insbeſondere iſt ihr ein ſchrecklicher Auftritt
in Erinnerung geblieben, welcher dadurch herbeigefuͤhrt wurde,
daß er ihr befahl, waͤhrend der Nacht ſein Pferd auf einer
Wieſe neben einem Acker zu huͤten, und zu verhindern, daß
daſſelbe nicht von den Garben freſſe, wenn ſie nicht halbtodt
geſchlagen werden wolle. Sie ſtrengte daher alle Kraͤfte an,
um dieſer Drohung zu entgehen, und wurde dennoch unbarm¬
herzig von ihm geſchlagen, als ſie ſeine Frage, ob ſie das
Pferd zur Traͤnke gefuͤhrt habe, mit dem Zuſatz verneinte, daß
ſie alsdann nicht das Pferd habe vom Acker zuruͤcktreiben
koͤnnen. Sie bebte daher bei jedem Anlaß zitternd vor dem
Wuͤthrig zuruͤck, vor welchem ſie ſich ſo viel als moͤglich ver¬
barg, daher ſie auch ſtets in Angſt lebte, und ihrem gepre߬
ten Herzen durch Weinen Luft machte. Vom Schulbeſuch
konnte demnach kaum die Rede ſein; ja ſie mußte theils durch
Bettelei, theils durch den Verkauf von getrockneten Fiſchen
einen kuͤmmerlichen Erwerb ſchaffen, wenn der Vater auf Rei¬
ſen war, und die Seinigen zu Hauſe geradezu darben ließ.
Schon fruͤhzeitig mußte ſie bei einem Baͤckermeiſter als Kin¬
dermagd dienen, ſah ſich jedoch durch Erfrieren der Fuͤße ge¬
noͤthigt, in das aͤlterliche Haus zuruͤckzukehren, um nach er¬
folgter Heilung bei einem Schmied in Dienſt zu treten, wo
ſie neben ſchwerer, faſt ihre Kraͤfte uͤberſteigender Arbeit noch
obenein eine aͤußerſt harte Behandlung erfuhr, indem ihr die
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[107/0115] wieder vereinigen werde. Sie dachte ſpaͤter bei dieſen Wor¬ ten um ſo lebhafter an den Tod ihrer Mutter, als viele der Juͤnglinge bald nachher in den Krieg ziehen mußten. Sie kannte ſeit ihrer zarteſten Kindheit nur Leiden und Entbehrungen. Zwar giebt ſie ihrer Stiefmutter, welche bald die Stelle der eigenen vertrat, ein gutes Zeugniß, deſto ſchlimmer war ſie aber mit dem Vater daran, vor welchem ſie geradezu die Flucht ergriff, wenn er von ſeiner Reiſe zuruͤck¬ kehrend die Branntweinflaſche auf den Tiſch warf, ſeine Kin¬ der Hunde nannte, und jede Gelegenheit benutzte, ſeine ganz verſchuͤchterte Tochter um der geringfuͤgigſten Urſachen willen zu mißhandeln. Insbeſondere iſt ihr ein ſchrecklicher Auftritt in Erinnerung geblieben, welcher dadurch herbeigefuͤhrt wurde, daß er ihr befahl, waͤhrend der Nacht ſein Pferd auf einer Wieſe neben einem Acker zu huͤten, und zu verhindern, daß daſſelbe nicht von den Garben freſſe, wenn ſie nicht halbtodt geſchlagen werden wolle. Sie ſtrengte daher alle Kraͤfte an, um dieſer Drohung zu entgehen, und wurde dennoch unbarm¬ herzig von ihm geſchlagen, als ſie ſeine Frage, ob ſie das Pferd zur Traͤnke gefuͤhrt habe, mit dem Zuſatz verneinte, daß ſie alsdann nicht das Pferd habe vom Acker zuruͤcktreiben koͤnnen. Sie bebte daher bei jedem Anlaß zitternd vor dem Wuͤthrig zuruͤck, vor welchem ſie ſich ſo viel als moͤglich ver¬ barg, daher ſie auch ſtets in Angſt lebte, und ihrem gepre߬ ten Herzen durch Weinen Luft machte. Vom Schulbeſuch konnte demnach kaum die Rede ſein; ja ſie mußte theils durch Bettelei, theils durch den Verkauf von getrockneten Fiſchen einen kuͤmmerlichen Erwerb ſchaffen, wenn der Vater auf Rei¬ ſen war, und die Seinigen zu Hauſe geradezu darben ließ. Schon fruͤhzeitig mußte ſie bei einem Baͤckermeiſter als Kin¬ dermagd dienen, ſah ſich jedoch durch Erfrieren der Fuͤße ge¬ noͤthigt, in das aͤlterliche Haus zuruͤckzukehren, um nach er¬ folgter Heilung bei einem Schmied in Dienſt zu treten, wo ſie neben ſchwerer, faſt ihre Kraͤfte uͤberſteigender Arbeit noch obenein eine aͤußerſt harte Behandlung erfuhr, indem ihr die Frau deſſelben oft Schlaͤge auf den Kopf gab. Sie litt da¬ her oft an den heftigſten, faſt betaͤubenden Kopfſchmerzen, und wenn ſie auch außerdem nicht mit beſonderen Krankheits¬

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/115>, abgerufen am 21.11.2024.