Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.seiner braven, herzlich geliebten Frau, an welche er durch ſeiner braven, herzlich geliebten Frau, an welche er durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0134" n="126"/> ſeiner braven, herzlich geliebten Frau, an welche er durch<lb/> heilige Pflichten gebunden ſei, zu trennen. So lebte alſo die¬<lb/> ſer durchaus tuͤchtige und redlich geſinnte Mann eine lange<lb/> Reihe von Jahren hindurch in einem unausgleichbaren Wider¬<lb/> ſtreit zwiſchen ſeinem kraͤftigen ſittlichen Gefuͤhl und ſeinem<lb/> poſitiven Glauben, woraus ſich die Entſtehung ſeines Seelen¬<lb/> leidens leicht erklaͤrt, da daſſelbe nichts Anderes war, als die<lb/> hoͤchſte leidenſchaftliche Steigerung jenes in ſeinem Inneren<lb/> fortgaͤhrenden Kampfs zu einer Zeit, wo die Klarheit ſeines<lb/> Verſtandes durch ungewohnte und uͤbermaͤßige geiſtige Anſtren¬<lb/> gungen getruͤbt, und ſein Gemuͤth durch die Furcht vor einem<lb/> unguͤnſtigen Ausgange ſeines Examens tief erſchuͤttert war.<lb/> Dies gab mir Veranlaſſung, ihm eindringlich vorzuſtellen, daß<lb/> er vor Allem auf eine voͤllige Ausgleichung jenes noch immer<lb/> fortbeſtehenden Widerſtreits hinarbeiten, daß er um jeden Preis<lb/> eine Ausſoͤhnung zwiſchen ſeinem Glauben und ſeiner Pflicht<lb/> zu Stande bringen muͤſſe, wenn ſeine wiedergewonnene Ge¬<lb/> muͤthsruhe nicht eine voͤllig truͤgeriſche bleiben, und er bei ir¬<lb/> gend einer ihn erſchuͤtternden Veranlaſſung nicht von neuem<lb/> ein Raub der Verzweiflung werden ſolle. Da ihm dies ein¬<lb/> leuchtete, ſo ſuchte er auf meinen Rath einen katholiſchen<lb/> Prieſter auf, mit welchem er nach mannigfachen Verhandlun¬<lb/> gen den Vergleich ſchloß, daß er nach Ablauf eines halben<lb/> Jahres wieder zum Abendmahl hinzugelaſſen werden ſolle, wenn<lb/> er ſich bis dahin des ehelichen Umganges mit ſeiner Frau ent¬<lb/> halten, und das Verſprechen geben wolle, ſich mit derſelben<lb/> nochmals katholisch trauen zu laſſen, wenn ihr noch lebender<lb/> geſchiedener Ehemann geſtorben ſei. Da dieſe Bedingungen<lb/> leicht zu erfuͤllen waren, ſo rieth ich dem K., der Religion<lb/> ſeiner Vaͤter treu zu bleiben, weil ein Glaubenswechſel, zu<lb/> welchem er bei fortgeſetzter Excommunication entſchloſſen war,<lb/> bei ſeiner aͤngſtlichen und befangenen Gemuͤthsart leicht die<lb/> ſchlimmſten Folgen fuͤr ihn haben koͤnne. Auf dringende Ver¬<lb/> wendung ſeiner Ehefrau wurde er am 14. Juni beurlaubt,<lb/> und da er bei ſpaͤter wiederholten Pruͤfungen ſeines Gemuͤths¬<lb/> zuſtandes ſich voͤllig beſonnen zeigte, ſo erfolgte die definitive<lb/> Erklaͤrung ſeiner Heilung am 19. September.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [126/0134]
ſeiner braven, herzlich geliebten Frau, an welche er durch
heilige Pflichten gebunden ſei, zu trennen. So lebte alſo die¬
ſer durchaus tuͤchtige und redlich geſinnte Mann eine lange
Reihe von Jahren hindurch in einem unausgleichbaren Wider¬
ſtreit zwiſchen ſeinem kraͤftigen ſittlichen Gefuͤhl und ſeinem
poſitiven Glauben, woraus ſich die Entſtehung ſeines Seelen¬
leidens leicht erklaͤrt, da daſſelbe nichts Anderes war, als die
hoͤchſte leidenſchaftliche Steigerung jenes in ſeinem Inneren
fortgaͤhrenden Kampfs zu einer Zeit, wo die Klarheit ſeines
Verſtandes durch ungewohnte und uͤbermaͤßige geiſtige Anſtren¬
gungen getruͤbt, und ſein Gemuͤth durch die Furcht vor einem
unguͤnſtigen Ausgange ſeines Examens tief erſchuͤttert war.
Dies gab mir Veranlaſſung, ihm eindringlich vorzuſtellen, daß
er vor Allem auf eine voͤllige Ausgleichung jenes noch immer
fortbeſtehenden Widerſtreits hinarbeiten, daß er um jeden Preis
eine Ausſoͤhnung zwiſchen ſeinem Glauben und ſeiner Pflicht
zu Stande bringen muͤſſe, wenn ſeine wiedergewonnene Ge¬
muͤthsruhe nicht eine voͤllig truͤgeriſche bleiben, und er bei ir¬
gend einer ihn erſchuͤtternden Veranlaſſung nicht von neuem
ein Raub der Verzweiflung werden ſolle. Da ihm dies ein¬
leuchtete, ſo ſuchte er auf meinen Rath einen katholiſchen
Prieſter auf, mit welchem er nach mannigfachen Verhandlun¬
gen den Vergleich ſchloß, daß er nach Ablauf eines halben
Jahres wieder zum Abendmahl hinzugelaſſen werden ſolle, wenn
er ſich bis dahin des ehelichen Umganges mit ſeiner Frau ent¬
halten, und das Verſprechen geben wolle, ſich mit derſelben
nochmals katholisch trauen zu laſſen, wenn ihr noch lebender
geſchiedener Ehemann geſtorben ſei. Da dieſe Bedingungen
leicht zu erfuͤllen waren, ſo rieth ich dem K., der Religion
ſeiner Vaͤter treu zu bleiben, weil ein Glaubenswechſel, zu
welchem er bei fortgeſetzter Excommunication entſchloſſen war,
bei ſeiner aͤngſtlichen und befangenen Gemuͤthsart leicht die
ſchlimmſten Folgen fuͤr ihn haben koͤnne. Auf dringende Ver¬
wendung ſeiner Ehefrau wurde er am 14. Juni beurlaubt,
und da er bei ſpaͤter wiederholten Pruͤfungen ſeines Gemuͤths¬
zuſtandes ſich voͤllig beſonnen zeigte, ſo erfolgte die definitive
Erklaͤrung ſeiner Heilung am 19. September.
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