Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.vorgespiegelt hätte, sie sei durch den Teufel zur Ehe verleitet Ein so stark ausgeprägtes und hartnäckiges Seelenleiden vorgeſpiegelt haͤtte, ſie ſei durch den Teufel zur Ehe verleitet Ein ſo ſtark ausgepraͤgtes und hartnaͤckiges Seelenleiden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0144" n="136"/> vorgeſpiegelt haͤtte, ſie ſei durch den Teufel zur Ehe verleitet<lb/> worden. Aber dieſer Schimmer von Beſinnung verſchwand<lb/> bald wieder, denn immer von neuem kehrte die Vorſtellung<lb/> zuruͤck, der Teufel verfolge ſie, er ſei ihr in Flammen an der<lb/> Decke des Zimmers erſchienen, rauſche durch daſſelbe an ihr<lb/> voruͤber, und da inzwiſchen auch die ſchon erwachte Sehnſucht<lb/> nach den Ihrigen ſich von neuem wieder regte, ſo gerieth ſie<lb/> in einen ſehr qualvollen Zuſtand, welcher ihr die naͤchtliche<lb/> Ruhe raubte. Endlich entſtand in ihr eine gewiſſe Reaction<lb/> gegen die unaufhoͤrlichen Verfolgungen des Satans, ſo daß ſie<lb/> denſelben gleichſam zum Kampfe herausforderte, indem ſie mit<lb/> ihm zu wuͤrfeln verlangte, um dadurch endlich die Entſcheidung<lb/> herbeizufuͤhren, ob Gott oder er die Oberhand bei ihr gewin¬<lb/> nen ſolle. Nicht nur hoffte ſie, durch einen gluͤcklichen Wurf<lb/> von ihm ſich zu befreien, und ihm dadurch den Tod zu bringen,<lb/> ſondern eine Stimme rief ihr auch zu, daß das Schickſal der<lb/> ganzen Welt an das ihrige gekettet ſei, und bei dem Verluſt<lb/> des Spiels dem Teufel und dem Tode zum Raube werden muͤſſe,<lb/> worauf alle Menſchen in ewige Hoͤllenquaalen gerathen wuͤrden.</p><lb/> <p>Ein ſo ſtark ausgepraͤgtes und hartnaͤckiges Seelenleiden<lb/> forderte zu energiſchen Maaßregeln auf, nachdem die fruͤher in<lb/> Anwendung geſetzten Heilmittel ſich als durchaus unwirkſam<lb/> erwieſen hatten. Denn die unertraͤgliche Folter ihres Gemuͤths<lb/> mußte bei laͤngerer Dauer nicht blos aͤußerſt nachtheilig in den<lb/> Fortgang ihrer koͤrperlichen Functionen eingreifen, welche bis<lb/> dahin mit Ausnahme des haͤufig von aͤngſtlichen Traͤumen un¬<lb/> terbrochenen Schlafs noch leidlich genug von Statten gegangen<lb/> waren, ſondern es war auch eine mit jedem Tage tiefer einreißende<lb/> Zerruͤttung der geiſtigen Kraͤfte zu befuͤrchten, durch welche<lb/> die Organiſation der Seele in ihren Grundfeſten bedroht<lb/> wurde. Freundlicher Zuſpruch, Troſt, das Bemuͤhen, ſie von<lb/> ihren grauſigen Vorſtellungen abzulenken, blieben von ihr ganz<lb/> unbeachtet, zu einer ihre Aufmerkſamkeit ablenkenden Thaͤtig¬<lb/> keit war ſie durchaus nicht zu bewegen. Zum Gluͤck beſitzt die<lb/> Pſychiatrie die ſchon mehrmals genannten aͤußerſt kraͤftigen<lb/> Mittel, die Douche und Brechweinſteinſalbe, um durch phy¬<lb/> ſiſche Erſchuͤtterung des Nervenſyſtems gleichſam mit Gewalt<lb/> die verſchloſſenen Pforten der Seele zu ſprengen, und dadurch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [136/0144]
vorgeſpiegelt haͤtte, ſie ſei durch den Teufel zur Ehe verleitet
worden. Aber dieſer Schimmer von Beſinnung verſchwand
bald wieder, denn immer von neuem kehrte die Vorſtellung
zuruͤck, der Teufel verfolge ſie, er ſei ihr in Flammen an der
Decke des Zimmers erſchienen, rauſche durch daſſelbe an ihr
voruͤber, und da inzwiſchen auch die ſchon erwachte Sehnſucht
nach den Ihrigen ſich von neuem wieder regte, ſo gerieth ſie
in einen ſehr qualvollen Zuſtand, welcher ihr die naͤchtliche
Ruhe raubte. Endlich entſtand in ihr eine gewiſſe Reaction
gegen die unaufhoͤrlichen Verfolgungen des Satans, ſo daß ſie
denſelben gleichſam zum Kampfe herausforderte, indem ſie mit
ihm zu wuͤrfeln verlangte, um dadurch endlich die Entſcheidung
herbeizufuͤhren, ob Gott oder er die Oberhand bei ihr gewin¬
nen ſolle. Nicht nur hoffte ſie, durch einen gluͤcklichen Wurf
von ihm ſich zu befreien, und ihm dadurch den Tod zu bringen,
ſondern eine Stimme rief ihr auch zu, daß das Schickſal der
ganzen Welt an das ihrige gekettet ſei, und bei dem Verluſt
des Spiels dem Teufel und dem Tode zum Raube werden muͤſſe,
worauf alle Menſchen in ewige Hoͤllenquaalen gerathen wuͤrden.
Ein ſo ſtark ausgepraͤgtes und hartnaͤckiges Seelenleiden
forderte zu energiſchen Maaßregeln auf, nachdem die fruͤher in
Anwendung geſetzten Heilmittel ſich als durchaus unwirkſam
erwieſen hatten. Denn die unertraͤgliche Folter ihres Gemuͤths
mußte bei laͤngerer Dauer nicht blos aͤußerſt nachtheilig in den
Fortgang ihrer koͤrperlichen Functionen eingreifen, welche bis
dahin mit Ausnahme des haͤufig von aͤngſtlichen Traͤumen un¬
terbrochenen Schlafs noch leidlich genug von Statten gegangen
waren, ſondern es war auch eine mit jedem Tage tiefer einreißende
Zerruͤttung der geiſtigen Kraͤfte zu befuͤrchten, durch welche
die Organiſation der Seele in ihren Grundfeſten bedroht
wurde. Freundlicher Zuſpruch, Troſt, das Bemuͤhen, ſie von
ihren grauſigen Vorſtellungen abzulenken, blieben von ihr ganz
unbeachtet, zu einer ihre Aufmerkſamkeit ablenkenden Thaͤtig¬
keit war ſie durchaus nicht zu bewegen. Zum Gluͤck beſitzt die
Pſychiatrie die ſchon mehrmals genannten aͤußerſt kraͤftigen
Mittel, die Douche und Brechweinſteinſalbe, um durch phy¬
ſiſche Erſchuͤtterung des Nervenſyſtems gleichſam mit Gewalt
die verſchloſſenen Pforten der Seele zu ſprengen, und dadurch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |