Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.Weltkinder niederschmettert, und mit Teufelsbildern und Höl¬ Es muß völlig dahin gestellt bleiben, in welchem Sinne Weltkinder niederſchmettert, und mit Teufelsbildern und Hoͤl¬ Es muß voͤllig dahin geſtellt bleiben, in welchem Sinne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0164" n="156"/> Weltkinder niederſchmettert, und mit Teufelsbildern und Hoͤl¬<lb/> lengemaͤlden jede unſchuldige Freude aus dem Leben verſcheucht.<lb/> Auch wenn die Kirche nicht durch hierarchiſchen Zelotismus in<lb/> ein Zuchthaus verwandelt wird, wo dem zerknirſchten Buͤßenden<lb/> die Geißel um die Ohren geſchwungen wird, muß ſie doch ihre<lb/> Beſtimmung, ein rettendes Aſyl des Friedens fuͤr den Gram¬<lb/> gebeugten zu ſein, ganz verlieren, wenn ſie nur von finſteren<lb/> Declamationen uͤber den unausgleichbaren Widerſtreit zwiſchen<lb/> dem ewigen und zeitlichen Leben wiederhallt, welcher nur da¬<lb/> durch geſchlichtet werden koͤnne, daß man letzteres dem erſteren<lb/> zum Opfer bringe. Dergleichen Betrachtungen ſind nur in den<lb/> Kloͤſtern als den großen Kirchhoͤfen fuͤr Lebendigbegrabene an<lb/> ihrem Orte, um ihnen das fortwaͤhrende Abſterben bis zum<lb/> Tode zu erleichtern; wer aber in der Welt lebt, und in ihr<lb/> Pflichten zu erfuͤllen hat, muß auch die Kraft dazu beſitzen,<lb/> welche ihm unfehlbar geraubt wird durch die Vorſtellung aller<lb/> Weltverhaͤltniſſe als ſuͤndlicher, mit denen der Fromme nichts<lb/> zu ſchaffen habe.</p><lb/> <p>Es muß voͤllig dahin geſtellt bleiben, in welchem Sinne<lb/> jene Vortraͤge gehalten waren, welche auf die H. einen ſo tie¬<lb/> fen Eindruck machten; ja man kann es dreiſt vorausſetzen,<lb/> daß ſie einen aͤcht chriſtlichen Geiſt athmeten, ohne daß ſie des¬<lb/> halb weniger nachtheilig auf ihr ſchon verduͤſtertes Bewußtſein<lb/> gewirkt haͤtten. Denn Leiden, Entbehrungen, Hoffnungsloſig¬<lb/> keit waren der Gegenſtand ihres truͤben Sinnes, und ſie mußte<lb/> daher um ſo empfaͤnglicher werden fuͤr die ſchlimmſte Ausdeu¬<lb/> tung jener Miſſionspredigten, welche die Nachfolge des Kreuzes<lb/> Chriſti fuͤr die vornehmſte Pflicht erklaͤrten. Ihrer Ausſage<lb/> nach gruͤbelte ſie oft uͤber ſolche Betrachtungen, welche nicht<lb/> dazu dienen konnten, Licht und Heiterkeit in ihren verfinſter¬<lb/> ten Geiſt zu bringen, zumal da ſie in ihrer Anſicht, daß auch<lb/> ſie dem Weltlichen entſagen, und das Kreuz Chriſti auf ſich<lb/> nehmen muͤſſe, noch mehr beſtaͤrkt wurde durch die Predigten<lb/> eines Geiſtlichen, der ſich ſtets durch myſtiſch ascetiſche Lehren<lb/> bekannt gemacht hat. In einer ſolchen Predigt glaubte ſie<lb/> auch die Ankuͤndigung eines baldigen Unterganges der Welt<lb/> und des hereinbrechenden Strafgerichts Gottes uͤber die Suͤnder<lb/> vernommen zu haben, und es begreift ſich leicht, daß nun<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [156/0164]
Weltkinder niederſchmettert, und mit Teufelsbildern und Hoͤl¬
lengemaͤlden jede unſchuldige Freude aus dem Leben verſcheucht.
Auch wenn die Kirche nicht durch hierarchiſchen Zelotismus in
ein Zuchthaus verwandelt wird, wo dem zerknirſchten Buͤßenden
die Geißel um die Ohren geſchwungen wird, muß ſie doch ihre
Beſtimmung, ein rettendes Aſyl des Friedens fuͤr den Gram¬
gebeugten zu ſein, ganz verlieren, wenn ſie nur von finſteren
Declamationen uͤber den unausgleichbaren Widerſtreit zwiſchen
dem ewigen und zeitlichen Leben wiederhallt, welcher nur da¬
durch geſchlichtet werden koͤnne, daß man letzteres dem erſteren
zum Opfer bringe. Dergleichen Betrachtungen ſind nur in den
Kloͤſtern als den großen Kirchhoͤfen fuͤr Lebendigbegrabene an
ihrem Orte, um ihnen das fortwaͤhrende Abſterben bis zum
Tode zu erleichtern; wer aber in der Welt lebt, und in ihr
Pflichten zu erfuͤllen hat, muß auch die Kraft dazu beſitzen,
welche ihm unfehlbar geraubt wird durch die Vorſtellung aller
Weltverhaͤltniſſe als ſuͤndlicher, mit denen der Fromme nichts
zu ſchaffen habe.
Es muß voͤllig dahin geſtellt bleiben, in welchem Sinne
jene Vortraͤge gehalten waren, welche auf die H. einen ſo tie¬
fen Eindruck machten; ja man kann es dreiſt vorausſetzen,
daß ſie einen aͤcht chriſtlichen Geiſt athmeten, ohne daß ſie des¬
halb weniger nachtheilig auf ihr ſchon verduͤſtertes Bewußtſein
gewirkt haͤtten. Denn Leiden, Entbehrungen, Hoffnungsloſig¬
keit waren der Gegenſtand ihres truͤben Sinnes, und ſie mußte
daher um ſo empfaͤnglicher werden fuͤr die ſchlimmſte Ausdeu¬
tung jener Miſſionspredigten, welche die Nachfolge des Kreuzes
Chriſti fuͤr die vornehmſte Pflicht erklaͤrten. Ihrer Ausſage
nach gruͤbelte ſie oft uͤber ſolche Betrachtungen, welche nicht
dazu dienen konnten, Licht und Heiterkeit in ihren verfinſter¬
ten Geiſt zu bringen, zumal da ſie in ihrer Anſicht, daß auch
ſie dem Weltlichen entſagen, und das Kreuz Chriſti auf ſich
nehmen muͤſſe, noch mehr beſtaͤrkt wurde durch die Predigten
eines Geiſtlichen, der ſich ſtets durch myſtiſch ascetiſche Lehren
bekannt gemacht hat. In einer ſolchen Predigt glaubte ſie
auch die Ankuͤndigung eines baldigen Unterganges der Welt
und des hereinbrechenden Strafgerichts Gottes uͤber die Suͤnder
vernommen zu haben, und es begreift ſich leicht, daß nun
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |