Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.irre geleitet worden ist. Es wurde schon öfter von Schrift¬ irre geleitet worden iſt. Es wurde ſchon oͤfter von Schrift¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0167" n="159"/> irre geleitet worden iſt. Es wurde ſchon oͤfter von Schrift¬<lb/> ſtellern bemerkt, daß ſelbſt die vorzuͤglichſten Koͤpfe, Rouſſeau,<lb/> Alfieri, Lord Byron, durch eine ſtets truͤbe Stimmung in Un¬<lb/> ordnung gebracht worden ſind; daß auch das hellſte Auge des<lb/> Geiſtes wie des Leibes im Finſtern Geſpenſter und Zerrbilder<lb/> ſieht, und daß beiden Sehorganen das klarſte Licht das noth¬<lb/> wendige Element zur vollen Entwickelung ihrer Thaͤtigkeit iſt,<lb/> welche außerdem durchaus einen krankhaften Charakter anneh¬<lb/> men muß. Wie vielmehr muß daher das Ebengeſagte fuͤr eine<lb/> Perſon guͤltig ſein, deren an ſich duͤrftiger Verſtand uͤberdies<lb/> durch eine ungeheilt gebliebene Geiſteskrankheit noch mehr ge¬<lb/> ſchwaͤcht worden war. Insbeſondere wurde ſie durch die Lectuͤre<lb/> von Miſſionsberichten gefeſſelt, in denen nicht ſelten vom Maͤr¬<lb/> tyrertode einzelner Miſſionaͤre die Rede war, welcher ihren<lb/> ascetiſchen Anſichten eine um ſo reichlichere Nahrung darbieten<lb/> mußte. Schwerlich kann man ſich etwas Troſtloſeres denken,<lb/> als die winterliche Oede ihres Bewußtſeins waͤhrend der naͤch¬<lb/> ſten Jahre, wo aus ihrem Gemuͤth kein friſcher Lebensquell<lb/> hervorbrach, kein erfreuliches Ereigniß wenn auch nur voruͤber¬<lb/> gehend Klarheit und Waͤrme in ihren gaͤnzlich verdumpften<lb/> Sinn brachte. Nur in ſofern zeigte ihr in paſſive Reſignation<lb/> verſunkenes Gemuͤth einige Reaction, als ſie erfuͤllt von ihren<lb/> finſtern Glaubensanſichten in ihre Aeltern und Geſchwiſter drang,<lb/> daß dieſelben eben ſo eifrig wie ſie an den Andachtsuͤbungen<lb/> Theil nehmen ſollten, um den Zorn Gottes von ſich abzuwen¬<lb/> den, welcher außerdem zeitliches und ewiges Verderben uͤber<lb/> ſie bringen wuͤrde. Hieruͤber gerieth ſie oft in Streit mit ihren<lb/> Angehoͤrigen, welche ſich vergebens bemuͤhten, ſie uͤber die Ueber¬<lb/> treibung ihres frommen Eifers aufzuklaͤren, und ſich uͤber ihre<lb/> gehaͤſſigen Anſchuldigungen eines weltlichen Sinnes beklagten,<lb/> dem ihrer Meinung nach auch nicht mit den unſchuldigſten<lb/> Freuden eine Befriedigung gewaͤhrt werden duͤrfe. So beſtaͤ¬<lb/> tigt ſich auch hier die traurige Erfahrung, daß ſelbſt die mil¬<lb/> deſte Geſinnung durch rigoriſtiſche Glaubensanſichten zur fana¬<lb/> tiſchen Liebloſigkeit verhaͤrtet werden kann, weil dem truͤben<lb/> Schwaͤrmer jeder Maaßſtab eines richtigen Urtheils entfaͤllt, und<lb/> das fuͤrchterliche Dogma ewiger Hoͤllenſtrafen jede menſchliche<lb/> Regung zu Eis erſtarren laͤßt. Daß es bei der H. ſo weit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [159/0167]
irre geleitet worden iſt. Es wurde ſchon oͤfter von Schrift¬
ſtellern bemerkt, daß ſelbſt die vorzuͤglichſten Koͤpfe, Rouſſeau,
Alfieri, Lord Byron, durch eine ſtets truͤbe Stimmung in Un¬
ordnung gebracht worden ſind; daß auch das hellſte Auge des
Geiſtes wie des Leibes im Finſtern Geſpenſter und Zerrbilder
ſieht, und daß beiden Sehorganen das klarſte Licht das noth¬
wendige Element zur vollen Entwickelung ihrer Thaͤtigkeit iſt,
welche außerdem durchaus einen krankhaften Charakter anneh¬
men muß. Wie vielmehr muß daher das Ebengeſagte fuͤr eine
Perſon guͤltig ſein, deren an ſich duͤrftiger Verſtand uͤberdies
durch eine ungeheilt gebliebene Geiſteskrankheit noch mehr ge¬
ſchwaͤcht worden war. Insbeſondere wurde ſie durch die Lectuͤre
von Miſſionsberichten gefeſſelt, in denen nicht ſelten vom Maͤr¬
tyrertode einzelner Miſſionaͤre die Rede war, welcher ihren
ascetiſchen Anſichten eine um ſo reichlichere Nahrung darbieten
mußte. Schwerlich kann man ſich etwas Troſtloſeres denken,
als die winterliche Oede ihres Bewußtſeins waͤhrend der naͤch¬
ſten Jahre, wo aus ihrem Gemuͤth kein friſcher Lebensquell
hervorbrach, kein erfreuliches Ereigniß wenn auch nur voruͤber¬
gehend Klarheit und Waͤrme in ihren gaͤnzlich verdumpften
Sinn brachte. Nur in ſofern zeigte ihr in paſſive Reſignation
verſunkenes Gemuͤth einige Reaction, als ſie erfuͤllt von ihren
finſtern Glaubensanſichten in ihre Aeltern und Geſchwiſter drang,
daß dieſelben eben ſo eifrig wie ſie an den Andachtsuͤbungen
Theil nehmen ſollten, um den Zorn Gottes von ſich abzuwen¬
den, welcher außerdem zeitliches und ewiges Verderben uͤber
ſie bringen wuͤrde. Hieruͤber gerieth ſie oft in Streit mit ihren
Angehoͤrigen, welche ſich vergebens bemuͤhten, ſie uͤber die Ueber¬
treibung ihres frommen Eifers aufzuklaͤren, und ſich uͤber ihre
gehaͤſſigen Anſchuldigungen eines weltlichen Sinnes beklagten,
dem ihrer Meinung nach auch nicht mit den unſchuldigſten
Freuden eine Befriedigung gewaͤhrt werden duͤrfe. So beſtaͤ¬
tigt ſich auch hier die traurige Erfahrung, daß ſelbſt die mil¬
deſte Geſinnung durch rigoriſtiſche Glaubensanſichten zur fana¬
tiſchen Liebloſigkeit verhaͤrtet werden kann, weil dem truͤben
Schwaͤrmer jeder Maaßſtab eines richtigen Urtheils entfaͤllt, und
das fuͤrchterliche Dogma ewiger Hoͤllenſtrafen jede menſchliche
Regung zu Eis erſtarren laͤßt. Daß es bei der H. ſo weit
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