Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.hier auch nicht im Entferntesten die Bedingungen aufzählen hier auch nicht im Entfernteſten die Bedingungen aufzaͤhlen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017" n="9"/> hier auch nicht im Entfernteſten die Bedingungen aufzaͤhlen<lb/> kann, durch welche die Eigenthuͤmlichkeit ſeiner verſchiedenen<lb/> Arten hervorgerufen wird. Eben ſo muß ich es mir auch ver¬<lb/> ſagen, die pathologiſchen Bildungsgeſetze naͤher zu eroͤrtern,<lb/> nach welchen im Wahnſinn alle Vorſtellungen von den ſinn¬<lb/> lichen Anſchauungen bis hinauf zu den Vernunftbegriffen auf<lb/> die eigenthuͤmlichſte Weiſe umgeſtaltet werden, woraus ſich das<lb/> charakteriſtiſche Gepraͤge des irren Bewußtſeins leicht erklaͤren<lb/> laͤßt. Nur einer der auffallendſten Erſcheinungen des Wahn¬<lb/> ſinns erlaube ich mir beſonders zu gedenken, naͤmlich der Sin¬<lb/> nestaͤuſchungen, durch welche den Geiſteskranken Bilder von<lb/> nicht vorhandenen Gegenſtaͤnden, mit derſelben Klarheit, Deut¬<lb/> lichkeit, Lebendigkeit und Staͤrke vorgeſpiegelt werden, als<lb/> wenn ſich ihrer Anſchauung wirklich gegenwaͤrtige Dinge dar¬<lb/> boͤten. Dieſe Sinnestaͤuſchungen, welche Viſionen heißen, wenn<lb/> ſie den Sinn des Geſichts betreffen, ſtellen meiſtentheils die<lb/> Objecte der herrſchenden Leidenſchaft dar, namentlich ſchweben<lb/> dem religioͤſen Schwaͤrmer oft Geſtalten vor Augen, welche er<lb/> fuͤr die Perſon Gottes, des Heilandes, des heiligen Geiſtes,<lb/> fuͤr Engel und Schaaren ſeeliger Geiſter, umgeben von der<lb/> Herrlichkeit des Paradieſes haͤlt, oder er erblickt den Teufel<lb/> unter allen jenen fuͤrchterlichen Bildern, welche der Aberglaube<lb/> ihm andichtet, die Hoͤlle mit ihren Flammen und den Quaalen<lb/> der Verdammten. Faſt noch haͤufiger hoͤrt der fromme Wahn¬<lb/> ſinnige Stimmen, welche ihm die Gebote, Strafen, Beloh¬<lb/> nungen, Verheißungen Gottes zurufen, oder welche ihm aus<lb/> der Hoͤlle als Hohngelaͤchter des Teufels, als Gotteslaͤſterun¬<lb/> gen, als die Donnerworte ewiger Verdammniß u. ſ. w. zu<lb/> kommen ſcheinen. Ohne die Mannigfaltigkeit dieſer Erſchei¬<lb/> nungen aufzuzaͤhlen, begnuͤge ich mich zu ihrer Erklaͤrung die<lb/> Bemerkung hinzuzufuͤgen, daß der herrſchende Grundgedanke<lb/> von der innen gluͤhenden Leidenſchaft gleichſam nach außen bildlich<lb/> projectirt wird, welches wir uns am leichteſten, durch das<lb/> Spiel einer Zauberlaterne verſinnlichen koͤnnen, welche aus ih¬<lb/> rem Innern ein Bild mit ſolcher Lebendigkeit auf rauchige<lb/> Duͤnſte im Zimmer wirft, daß daſſelbe ſich zu einer wirklichen<lb/> Koͤrpergeſtalt objectivirt, und dadurch den Unkundigen in Stau¬<lb/> nen verſetzt, da er deſſen taͤuſchende Urſache nicht ahnt. Gleich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0017]
hier auch nicht im Entfernteſten die Bedingungen aufzaͤhlen
kann, durch welche die Eigenthuͤmlichkeit ſeiner verſchiedenen
Arten hervorgerufen wird. Eben ſo muß ich es mir auch ver¬
ſagen, die pathologiſchen Bildungsgeſetze naͤher zu eroͤrtern,
nach welchen im Wahnſinn alle Vorſtellungen von den ſinn¬
lichen Anſchauungen bis hinauf zu den Vernunftbegriffen auf
die eigenthuͤmlichſte Weiſe umgeſtaltet werden, woraus ſich das
charakteriſtiſche Gepraͤge des irren Bewußtſeins leicht erklaͤren
laͤßt. Nur einer der auffallendſten Erſcheinungen des Wahn¬
ſinns erlaube ich mir beſonders zu gedenken, naͤmlich der Sin¬
nestaͤuſchungen, durch welche den Geiſteskranken Bilder von
nicht vorhandenen Gegenſtaͤnden, mit derſelben Klarheit, Deut¬
lichkeit, Lebendigkeit und Staͤrke vorgeſpiegelt werden, als
wenn ſich ihrer Anſchauung wirklich gegenwaͤrtige Dinge dar¬
boͤten. Dieſe Sinnestaͤuſchungen, welche Viſionen heißen, wenn
ſie den Sinn des Geſichts betreffen, ſtellen meiſtentheils die
Objecte der herrſchenden Leidenſchaft dar, namentlich ſchweben
dem religioͤſen Schwaͤrmer oft Geſtalten vor Augen, welche er
fuͤr die Perſon Gottes, des Heilandes, des heiligen Geiſtes,
fuͤr Engel und Schaaren ſeeliger Geiſter, umgeben von der
Herrlichkeit des Paradieſes haͤlt, oder er erblickt den Teufel
unter allen jenen fuͤrchterlichen Bildern, welche der Aberglaube
ihm andichtet, die Hoͤlle mit ihren Flammen und den Quaalen
der Verdammten. Faſt noch haͤufiger hoͤrt der fromme Wahn¬
ſinnige Stimmen, welche ihm die Gebote, Strafen, Beloh¬
nungen, Verheißungen Gottes zurufen, oder welche ihm aus
der Hoͤlle als Hohngelaͤchter des Teufels, als Gotteslaͤſterun¬
gen, als die Donnerworte ewiger Verdammniß u. ſ. w. zu
kommen ſcheinen. Ohne die Mannigfaltigkeit dieſer Erſchei¬
nungen aufzuzaͤhlen, begnuͤge ich mich zu ihrer Erklaͤrung die
Bemerkung hinzuzufuͤgen, daß der herrſchende Grundgedanke
von der innen gluͤhenden Leidenſchaft gleichſam nach außen bildlich
projectirt wird, welches wir uns am leichteſten, durch das
Spiel einer Zauberlaterne verſinnlichen koͤnnen, welche aus ih¬
rem Innern ein Bild mit ſolcher Lebendigkeit auf rauchige
Duͤnſte im Zimmer wirft, daß daſſelbe ſich zu einer wirklichen
Koͤrpergeſtalt objectivirt, und dadurch den Unkundigen in Stau¬
nen verſetzt, da er deſſen taͤuſchende Urſache nicht ahnt. Gleich
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