Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.den er sich als ein Pünktchen in seinem Kopfe dachte, zu neh¬ Bei seiner am 21. April 1846 erfolgten Aufnahme in die den er ſich als ein Puͤnktchen in ſeinem Kopfe dachte, zu neh¬ Bei ſeiner am 21. April 1846 erfolgten Aufnahme in die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0177" n="169"/> den er ſich als ein Puͤnktchen in ſeinem Kopfe dachte, zu neh¬<lb/> men, durch welche Vorſtellung er mehrere Male in verzweifelnde<lb/> Wuth verſetzt wurde. Aber jener Daͤmon hatte es auch auf<lb/> ſein Leben abgeſehen, denn er nahm ihm die Eingeweide aus<lb/> der Bruſt, welches er deutlich wahrnehmen konnte, da der Geiſt<lb/> Gottes ihm den Sinn dafuͤr gegeben hatte, daher ihm auch<lb/> Alles in der Bruſt zerriſſen und von Blut erfuͤllt vorkam. Ja<lb/> die Frau von O. ſetzte ihre Angriffe auf ſeine Perſon ſo weit<lb/> fort, daß ſie mehrmals durch das Schluͤſſelloch in ſein Zimmer<lb/> ſchluͤpfte, nackt vor ihm erſchien, und ihn zu ſinnlichen Be¬<lb/> gierden reizte, gegen welche er ſtandhaft angekaͤmpft zu haben<lb/> behauptet. Dennoch haͤlt er es fuͤr ein großes, der ganzen Welt<lb/> widerfahrenes Ungluͤck, daß er jenen Begierden nicht nachge¬<lb/> geben habe. Hoͤchſt bezeichnend fuͤr die maaßloſe Entwickelung<lb/> ſeines Wahns iſt auch die Vorſtellung, daß ſeit Anbeginn der<lb/> Welt zwei Geſchlechter der Menſchen auf Erden lebten, welche<lb/> ſich gegenſeitig bekaͤmpften; das eine ſtammt von Gott ab, und<lb/> begreift die Familie des Z. in ſich; das andere Geſchlecht, wel¬<lb/> ches von Adam ausgeht, umfaßt alle Adligen, und namentlich<lb/> die Familie der Frau von O.</p><lb/> <p>Bei ſeiner am 21. April 1846 erfolgten Aufnahme in die<lb/> Charite' gerieth er in die heftigſte Wuth, konnte nur durch die<lb/> Bemuͤhungen mehrerer Waͤrter zur Folgſamkeit gebracht werden,<lb/> und forderte mit dem groͤßten Ungeſtuͤm ſeine Freiheit. Indeß<lb/> legte ſich doch dieſe heftige Aufregung bald, er wurde mitthei¬<lb/> lender, und ſprach ohne Ruͤckhalt die oben bezeichneten Wahn¬<lb/> vorſtellungen aus. Ueber ſein Benehmen waͤhrend des Som¬<lb/> mers und des Herbſtes bis zu ſeiner im November erfolgten<lb/> Verſetzung in anderweitige Verhaͤltniſſe laͤßt ſich nur ſo viel im<lb/> Allgemeinen ſagen, daß er ſich große Muͤhe gab, ſeine Wahn¬<lb/> vorſtellungen zu verhehlen, ja uͤber ſie eine deutliche Beſinnung<lb/> zu affectiren, um darauf die wiederholten ungeſtuͤmen Forderun¬<lb/> gen ſeiner Entlaſſung zu begruͤnden. Oft wurde er jedoch von<lb/> den in ihm tobenden Leidenſchaften dergeſtalt uͤbermannt, daß<lb/> er ganz aus der Rolle fiel, ſeinen Wahn mehr oder weniger<lb/> deutlich ausſprach, und in allen getroffenen Heilmaaßregeln ſo<lb/> wie in ſeiner Detention im Irrenhauſe eine ſchreiende Verletzung<lb/> ſeiner Rechte ſah, welche er durch Reclamationen an die hoͤch¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [169/0177]
den er ſich als ein Puͤnktchen in ſeinem Kopfe dachte, zu neh¬
men, durch welche Vorſtellung er mehrere Male in verzweifelnde
Wuth verſetzt wurde. Aber jener Daͤmon hatte es auch auf
ſein Leben abgeſehen, denn er nahm ihm die Eingeweide aus
der Bruſt, welches er deutlich wahrnehmen konnte, da der Geiſt
Gottes ihm den Sinn dafuͤr gegeben hatte, daher ihm auch
Alles in der Bruſt zerriſſen und von Blut erfuͤllt vorkam. Ja
die Frau von O. ſetzte ihre Angriffe auf ſeine Perſon ſo weit
fort, daß ſie mehrmals durch das Schluͤſſelloch in ſein Zimmer
ſchluͤpfte, nackt vor ihm erſchien, und ihn zu ſinnlichen Be¬
gierden reizte, gegen welche er ſtandhaft angekaͤmpft zu haben
behauptet. Dennoch haͤlt er es fuͤr ein großes, der ganzen Welt
widerfahrenes Ungluͤck, daß er jenen Begierden nicht nachge¬
geben habe. Hoͤchſt bezeichnend fuͤr die maaßloſe Entwickelung
ſeines Wahns iſt auch die Vorſtellung, daß ſeit Anbeginn der
Welt zwei Geſchlechter der Menſchen auf Erden lebten, welche
ſich gegenſeitig bekaͤmpften; das eine ſtammt von Gott ab, und
begreift die Familie des Z. in ſich; das andere Geſchlecht, wel¬
ches von Adam ausgeht, umfaßt alle Adligen, und namentlich
die Familie der Frau von O.
Bei ſeiner am 21. April 1846 erfolgten Aufnahme in die
Charite' gerieth er in die heftigſte Wuth, konnte nur durch die
Bemuͤhungen mehrerer Waͤrter zur Folgſamkeit gebracht werden,
und forderte mit dem groͤßten Ungeſtuͤm ſeine Freiheit. Indeß
legte ſich doch dieſe heftige Aufregung bald, er wurde mitthei¬
lender, und ſprach ohne Ruͤckhalt die oben bezeichneten Wahn¬
vorſtellungen aus. Ueber ſein Benehmen waͤhrend des Som¬
mers und des Herbſtes bis zu ſeiner im November erfolgten
Verſetzung in anderweitige Verhaͤltniſſe laͤßt ſich nur ſo viel im
Allgemeinen ſagen, daß er ſich große Muͤhe gab, ſeine Wahn¬
vorſtellungen zu verhehlen, ja uͤber ſie eine deutliche Beſinnung
zu affectiren, um darauf die wiederholten ungeſtuͤmen Forderun¬
gen ſeiner Entlaſſung zu begruͤnden. Oft wurde er jedoch von
den in ihm tobenden Leidenſchaften dergeſtalt uͤbermannt, daß
er ganz aus der Rolle fiel, ſeinen Wahn mehr oder weniger
deutlich ausſprach, und in allen getroffenen Heilmaaßregeln ſo
wie in ſeiner Detention im Irrenhauſe eine ſchreiende Verletzung
ſeiner Rechte ſah, welche er durch Reclamationen an die hoͤch¬
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