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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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gens beraubte, und von einem Arzte vergeblich mit dem Ein¬
blasen von gestoßenem Zucker behandelt wurde. Ein benachbarter
Bauer soll dadurch die Heilung bewirkt haben, daß er an
drei auf einander folgenden Freitagen jedesmal drei leise Ge¬
bete über den Kranken hielt, und sie mit den lauten Wor¬
ten: im Namen Gottes des Vaters u. s. w. schloß, worauf er
in die Augen hauchte. G. versichert, daß die ersten beiden
Male seine Mutter ihn habe führen müssen, und daß er das
letzte Mal schon im Stande gewesen sei, allein den Weg zu
jenem Bauer zu finden. Endlich zog er sich einige Zeit spä¬
ter durch Erkältung eine Wassersucht zu, welche gleichfalls erst
nach längerer Zeit gewichen sein soll, als wiederholte Gebete
an seinem Bette gehalten wurden. Wenn wir es auch mit
diesen Erzählungen nicht genau nehmen dürfen, so steht doch
die Thatsache unbezweifelt fest, daß G. in diesen Heilungen
die unmittelbare Gnadenwirkung des allgegenwärtigen Christus
und seiner alldurchdringenden Wunderkraft sah.

Nach seiner Einsegnung mußte er ganz gegen seine Nei¬
gung bei dem Vater das Schuhmacherhandwerk erlernen, wo¬
bei er der tägliche Augenzeuge der empörenden Auftritte blieb,
welche die Trunksucht des letzteren herbeiführte; ja er konnte
sich beim Anblick seiner gemißhandelten Mutter nicht enthal¬
ten, ihn mit harten Worten darüber zur Rede zu stellen, wo¬
für er gleichfalls derb gezüchtigt wurde. Mehrmals gerieth er,
mit ihm von Jahrmärkten heimkehrend, in eine äußerst üble
Lage, weil jener gewöhnlich berauscht am Wege umfiel, sich
dann nicht nach Hause leiten lassen wollte, so daß der un¬
glückliche Sohn oft von Kälte erstarrte. Am Tage mußte er
Geschäfte außer dem Hause, auf dem Felde verrichten, dann
bis spät in die Nacht dem Handwerk obliegen, und wenn er
einmal zum Troste in der Bibel lesen wollte, wurde ihm die¬
selbe mit Hohn und Schimpf weggerissen. So fand er nur
Beruhigung im Gottesdienste und in den Besuchen, welche er
dem ihm stets wohlwollenden Geistlichen abstattete, dagegen
ihm der Umgang mit anderen Menschen meist durch deren fri¬
volen oder religiös indifferenten Sinn verleidet wurde, zumal
da er oft von ihnen Spottreden hören mußte. Immerfort
mit dem Gedanken beschäftigt, daß man als Nachfolger Christi

gens beraubte, und von einem Arzte vergeblich mit dem Ein¬
blaſen von geſtoßenem Zucker behandelt wurde. Ein benachbarter
Bauer ſoll dadurch die Heilung bewirkt haben, daß er an
drei auf einander folgenden Freitagen jedesmal drei leiſe Ge¬
bete uͤber den Kranken hielt, und ſie mit den lauten Wor¬
ten: im Namen Gottes des Vaters u. ſ. w. ſchloß, worauf er
in die Augen hauchte. G. verſichert, daß die erſten beiden
Male ſeine Mutter ihn habe fuͤhren muͤſſen, und daß er das
letzte Mal ſchon im Stande geweſen ſei, allein den Weg zu
jenem Bauer zu finden. Endlich zog er ſich einige Zeit ſpaͤ¬
ter durch Erkaͤltung eine Waſſerſucht zu, welche gleichfalls erſt
nach laͤngerer Zeit gewichen ſein ſoll, als wiederholte Gebete
an ſeinem Bette gehalten wurden. Wenn wir es auch mit
dieſen Erzaͤhlungen nicht genau nehmen duͤrfen, ſo ſteht doch
die Thatſache unbezweifelt feſt, daß G. in dieſen Heilungen
die unmittelbare Gnadenwirkung des allgegenwaͤrtigen Chriſtus
und ſeiner alldurchdringenden Wunderkraft ſah.

Nach ſeiner Einſegnung mußte er ganz gegen ſeine Nei¬
gung bei dem Vater das Schuhmacherhandwerk erlernen, wo¬
bei er der taͤgliche Augenzeuge der empoͤrenden Auftritte blieb,
welche die Trunkſucht des letzteren herbeifuͤhrte; ja er konnte
ſich beim Anblick ſeiner gemißhandelten Mutter nicht enthal¬
ten, ihn mit harten Worten daruͤber zur Rede zu ſtellen, wo¬
fuͤr er gleichfalls derb gezuͤchtigt wurde. Mehrmals gerieth er,
mit ihm von Jahrmaͤrkten heimkehrend, in eine aͤußerſt uͤble
Lage, weil jener gewoͤhnlich berauſcht am Wege umfiel, ſich
dann nicht nach Hauſe leiten laſſen wollte, ſo daß der un¬
gluͤckliche Sohn oft von Kaͤlte erſtarrte. Am Tage mußte er
Geſchaͤfte außer dem Hauſe, auf dem Felde verrichten, dann
bis ſpaͤt in die Nacht dem Handwerk obliegen, und wenn er
einmal zum Troſte in der Bibel leſen wollte, wurde ihm die¬
ſelbe mit Hohn und Schimpf weggeriſſen. So fand er nur
Beruhigung im Gottesdienſte und in den Beſuchen, welche er
dem ihm ſtets wohlwollenden Geiſtlichen abſtattete, dagegen
ihm der Umgang mit anderen Menſchen meiſt durch deren fri¬
volen oder religioͤs indifferenten Sinn verleidet wurde, zumal
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[186/0194] gens beraubte, und von einem Arzte vergeblich mit dem Ein¬ blaſen von geſtoßenem Zucker behandelt wurde. Ein benachbarter Bauer ſoll dadurch die Heilung bewirkt haben, daß er an drei auf einander folgenden Freitagen jedesmal drei leiſe Ge¬ bete uͤber den Kranken hielt, und ſie mit den lauten Wor¬ ten: im Namen Gottes des Vaters u. ſ. w. ſchloß, worauf er in die Augen hauchte. G. verſichert, daß die erſten beiden Male ſeine Mutter ihn habe fuͤhren muͤſſen, und daß er das letzte Mal ſchon im Stande geweſen ſei, allein den Weg zu jenem Bauer zu finden. Endlich zog er ſich einige Zeit ſpaͤ¬ ter durch Erkaͤltung eine Waſſerſucht zu, welche gleichfalls erſt nach laͤngerer Zeit gewichen ſein ſoll, als wiederholte Gebete an ſeinem Bette gehalten wurden. Wenn wir es auch mit dieſen Erzaͤhlungen nicht genau nehmen duͤrfen, ſo ſteht doch die Thatſache unbezweifelt feſt, daß G. in dieſen Heilungen die unmittelbare Gnadenwirkung des allgegenwaͤrtigen Chriſtus und ſeiner alldurchdringenden Wunderkraft ſah. Nach ſeiner Einſegnung mußte er ganz gegen ſeine Nei¬ gung bei dem Vater das Schuhmacherhandwerk erlernen, wo¬ bei er der taͤgliche Augenzeuge der empoͤrenden Auftritte blieb, welche die Trunkſucht des letzteren herbeifuͤhrte; ja er konnte ſich beim Anblick ſeiner gemißhandelten Mutter nicht enthal¬ ten, ihn mit harten Worten daruͤber zur Rede zu ſtellen, wo¬ fuͤr er gleichfalls derb gezuͤchtigt wurde. Mehrmals gerieth er, mit ihm von Jahrmaͤrkten heimkehrend, in eine aͤußerſt uͤble Lage, weil jener gewoͤhnlich berauſcht am Wege umfiel, ſich dann nicht nach Hauſe leiten laſſen wollte, ſo daß der un¬ gluͤckliche Sohn oft von Kaͤlte erſtarrte. Am Tage mußte er Geſchaͤfte außer dem Hauſe, auf dem Felde verrichten, dann bis ſpaͤt in die Nacht dem Handwerk obliegen, und wenn er einmal zum Troſte in der Bibel leſen wollte, wurde ihm die¬ ſelbe mit Hohn und Schimpf weggeriſſen. So fand er nur Beruhigung im Gottesdienſte und in den Beſuchen, welche er dem ihm ſtets wohlwollenden Geiſtlichen abſtattete, dagegen ihm der Umgang mit anderen Menſchen meiſt durch deren fri¬ volen oder religioͤs indifferenten Sinn verleidet wurde, zumal da er oft von ihnen Spottreden hoͤren mußte. Immerfort mit dem Gedanken beſchaͤftigt, daß man als Nachfolger Chriſti

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/194>, abgerufen am 23.11.2024.