Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.schon eher zugeben, daß gerade sie das höchste Maaß eines ſchon eher zugeben, daß gerade ſie das hoͤchſte Maaß eines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0034" n="26"/> ſchon eher zugeben, daß gerade ſie das hoͤchſte Maaß eines<lb/> heißen Verlangens nach dem verlorenen Seelenfrieden bezeich¬<lb/> nen, welche Erklaͤrung insbeſondere darin ihre Rechtfertigung<lb/> findet, daß gewoͤhnlich gutgeartete Menſchen in irrſinniger<lb/> Bethoͤrung ſich mit falſchen Selbſtanklagen uͤberhaͤufen, eben<lb/> weil ihr zartes Gewiſſen am tiefſten durch Gemuͤthsleiden er¬<lb/> ſchuͤttert wird. Aber weniger deutlich duͤrfte es auf den erſten<lb/> Anblick ſein, wie der Teufelswahn der unmittelbare Ausdruck<lb/> einer ungeſtillten maaßloſen Sehnſucht ſein koͤnne. Eine aus¬<lb/> fuͤhrliche Erklaͤrung hieruͤber muß ich mir fuͤr die Zukunft ver¬<lb/> ſparen, weil ſich nicht mit wenigen Worten eine deutliche Be¬<lb/> zeichnung dafuͤr geben laͤßt, daß der Glaube an den Teufel<lb/> ſelbſt ſchon eine Entartung der Ehrfurcht vor dem goͤttlichen<lb/> Geſetz iſt, in ſofern naͤmlich dem unaufgeklaͤrten religioͤſen Be¬<lb/> wußtſeyn die Gerechtigkeit der goͤttlichen Weltordnung als ein<lb/> hochnothpeinliches Halsgericht nach dem Muſter der <hi rendition="#aq">Constitu¬<lb/> tio Criminalis Carolina</hi> erſcheint, bei welchem der Teufel<lb/> das Amt eines Schergen, Buͤttels oder Folterknechts verſieht.<lb/> In ihrer urſpruͤnglichen Bedeutung iſt die Ehrfurcht vor der<lb/> Heiligkeit des goͤttlichen Geſetzes die Sehnſucht nach der nie<lb/> vollſtaͤndig zu erreichenden Erfuͤllung deſſelben, weil der Menſch<lb/> im tiefſten Selbſtbewußtſein die durch die Majeſtaͤt des Ge¬<lb/> wiſſens bekraͤftigte Nothwendigkeit erkennt, das Geſetz Gottes<lb/> als urſpruͤngliche Bedingung der geiſtig ſittlichen Vervollkomm¬<lb/> nung, als die ewige Grundlage ſeines freien Strebens nach<lb/> dem Unendlichen zu erfuͤllen. In dieſer weſentlichen Bedeu¬<lb/> tung kann das goͤttliche Geſetz nur der aufgeklaͤrten Froͤmmig¬<lb/> keit erſcheinen, welche demſelben als der Quelle alles Heils<lb/> einen liebenden Gehorſam weiht; aber der im Aberglauben<lb/> berauſchte Geiſt wird durch den verduͤſternden Schwindel ſeiner<lb/> Gedanken dergeſtalt bethoͤrt, daß er nur die fratzenhaften Zerr¬<lb/> bilder der Hoͤlle erblickt, wo vor dem klaren Blick des kindlich<lb/> frohen Glaubens die Schoͤnheit der goͤttlichen Weltordnung im<lb/> reinſten Glanze des Himmels ſtrahlt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [26/0034]
ſchon eher zugeben, daß gerade ſie das hoͤchſte Maaß eines
heißen Verlangens nach dem verlorenen Seelenfrieden bezeich¬
nen, welche Erklaͤrung insbeſondere darin ihre Rechtfertigung
findet, daß gewoͤhnlich gutgeartete Menſchen in irrſinniger
Bethoͤrung ſich mit falſchen Selbſtanklagen uͤberhaͤufen, eben
weil ihr zartes Gewiſſen am tiefſten durch Gemuͤthsleiden er¬
ſchuͤttert wird. Aber weniger deutlich duͤrfte es auf den erſten
Anblick ſein, wie der Teufelswahn der unmittelbare Ausdruck
einer ungeſtillten maaßloſen Sehnſucht ſein koͤnne. Eine aus¬
fuͤhrliche Erklaͤrung hieruͤber muß ich mir fuͤr die Zukunft ver¬
ſparen, weil ſich nicht mit wenigen Worten eine deutliche Be¬
zeichnung dafuͤr geben laͤßt, daß der Glaube an den Teufel
ſelbſt ſchon eine Entartung der Ehrfurcht vor dem goͤttlichen
Geſetz iſt, in ſofern naͤmlich dem unaufgeklaͤrten religioͤſen Be¬
wußtſeyn die Gerechtigkeit der goͤttlichen Weltordnung als ein
hochnothpeinliches Halsgericht nach dem Muſter der Constitu¬
tio Criminalis Carolina erſcheint, bei welchem der Teufel
das Amt eines Schergen, Buͤttels oder Folterknechts verſieht.
In ihrer urſpruͤnglichen Bedeutung iſt die Ehrfurcht vor der
Heiligkeit des goͤttlichen Geſetzes die Sehnſucht nach der nie
vollſtaͤndig zu erreichenden Erfuͤllung deſſelben, weil der Menſch
im tiefſten Selbſtbewußtſein die durch die Majeſtaͤt des Ge¬
wiſſens bekraͤftigte Nothwendigkeit erkennt, das Geſetz Gottes
als urſpruͤngliche Bedingung der geiſtig ſittlichen Vervollkomm¬
nung, als die ewige Grundlage ſeines freien Strebens nach
dem Unendlichen zu erfuͤllen. In dieſer weſentlichen Bedeu¬
tung kann das goͤttliche Geſetz nur der aufgeklaͤrten Froͤmmig¬
keit erſcheinen, welche demſelben als der Quelle alles Heils
einen liebenden Gehorſam weiht; aber der im Aberglauben
berauſchte Geiſt wird durch den verduͤſternden Schwindel ſeiner
Gedanken dergeſtalt bethoͤrt, daß er nur die fratzenhaften Zerr¬
bilder der Hoͤlle erblickt, wo vor dem klaren Blick des kindlich
frohen Glaubens die Schoͤnheit der goͤttlichen Weltordnung im
reinſten Glanze des Himmels ſtrahlt.
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