Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.dadurch verschlimmert, daß er, durch den schlechten Rath ande¬ dadurch verſchlimmert, daß er, durch den ſchlechten Rath ande¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0037" n="29"/> dadurch verſchlimmert, daß er, durch den ſchlechten Rath ande¬<lb/> rer Geſellen verleitet, im wolluͤſtigen Umgange mit feilen Dirnen<lb/> eine Befreiung von ſeinen Beſchwerden zu erlangen ſuchte, wor¬<lb/> uͤber er die bitterſte Reue empfand, welche ihn zum haͤufigen Ge¬<lb/> nuß des heiligen Abendmahls antrieb. Noch muͤſſen wir hier<lb/> einer pathologiſchen Erſcheinung gedenken, welche vielleicht als<lb/> Wirkung einer durch das Skrofelleiden veranlaßten Reizbarkeit der<lb/> Nerven anzuſehen, bereits im 7. Jahre hervortrat, in der Folge<lb/> durch den haͤufigen Blutandrang nach dem Kopfe unterhalten<lb/> wurde, und mit geringen Unterbrechungen durch ſein ſpaͤteres<lb/> Leben fortdauerten. Anfangs hatte er, wenn er in einer finſtern<lb/> Kammer zu Bette gegangen war, Viſionen von menſchlichen<lb/> Geſtalten, deren Rumpf wohlgeformt, aber deren Geſicht gleich<lb/> Larven auf die mannigfachſte Weiſe verzerrt war. Meiſtens wa¬<lb/> ren die Naſen ſehr lang, die Augen groß, der Mund weit auf¬<lb/> geriſſen: gewoͤhnlich ſah er 4 — 6 ſolcher Geſtalten, welche theils<lb/> blieben, theils wechſelten, meiſt ihm unbekannte Perſonen, zu¬<lb/> weilen auch bekannte darſtellten, und nach 5 Minuten ſpurlos<lb/> verſchwanden. In fruͤherer Zeit waren jene Phantome regungs¬<lb/> los, in der Folgezeit bewegten ſie ſich, machten fuͤrchterliche Gri¬<lb/> maſſen, indem ſie den Mund weit aufſperrten, die Augen umher¬<lb/> rollten. In den ſpaͤteren Jahren hatte er dieſe Viſionen auch bei<lb/> Tage, zumal waͤhrend der Sommerhitze, beim Heben ſchwerer La¬<lb/> ſten, oder wenn aus Furcht Flimmern vor den Augen, Schwin¬<lb/> del und Herzklopfen ſich einſtellten: nur nach den Aderlaͤſſen blieb<lb/> er auf einige Zeit von ihnen verſchont. Da dieſe Viſionen ſchon<lb/> in ſeinem fruͤheſten Alter auftraten, wo das Kind noch keine Re¬<lb/> flexionen anſtellt, ſo machten ſie auch keinen tiefen Eindruck auf<lb/> ihn, und nur gelegentlich empfand er eine Anwandlung von<lb/> Furcht, wenn entweder die Larven ein ſehr abſchreckendes Anſe¬<lb/> hen annahmen, oder wenn das Anhoͤren von Geſpenſtergeſchichten<lb/> ihm ein aberglaͤubiges Grauen eingefloͤßt hatte. Indeß durch ihre<lb/> haͤufige Wiederkehr wurden ſie ihm dergeſtalt zur Gewohnheit und<lb/> dadurch gleichguͤltig, daß er wortkarg und ſchuͤchtern gegen Nie¬<lb/> manden ſich daruͤber aͤußerte, und als er bei zunehmender Ver¬<lb/> ſtandesreife einer freieren Reflexion faͤhig wurde, ſagte er ſich<lb/> ſelbſt, daß Alles nur ein Spuk der Einbildungskraft ſei. Erſt<lb/> dann erlangte derſelbe fuͤr ihn eine ſchwere Bedeutung, als dar¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [29/0037]
dadurch verſchlimmert, daß er, durch den ſchlechten Rath ande¬
rer Geſellen verleitet, im wolluͤſtigen Umgange mit feilen Dirnen
eine Befreiung von ſeinen Beſchwerden zu erlangen ſuchte, wor¬
uͤber er die bitterſte Reue empfand, welche ihn zum haͤufigen Ge¬
nuß des heiligen Abendmahls antrieb. Noch muͤſſen wir hier
einer pathologiſchen Erſcheinung gedenken, welche vielleicht als
Wirkung einer durch das Skrofelleiden veranlaßten Reizbarkeit der
Nerven anzuſehen, bereits im 7. Jahre hervortrat, in der Folge
durch den haͤufigen Blutandrang nach dem Kopfe unterhalten
wurde, und mit geringen Unterbrechungen durch ſein ſpaͤteres
Leben fortdauerten. Anfangs hatte er, wenn er in einer finſtern
Kammer zu Bette gegangen war, Viſionen von menſchlichen
Geſtalten, deren Rumpf wohlgeformt, aber deren Geſicht gleich
Larven auf die mannigfachſte Weiſe verzerrt war. Meiſtens wa¬
ren die Naſen ſehr lang, die Augen groß, der Mund weit auf¬
geriſſen: gewoͤhnlich ſah er 4 — 6 ſolcher Geſtalten, welche theils
blieben, theils wechſelten, meiſt ihm unbekannte Perſonen, zu¬
weilen auch bekannte darſtellten, und nach 5 Minuten ſpurlos
verſchwanden. In fruͤherer Zeit waren jene Phantome regungs¬
los, in der Folgezeit bewegten ſie ſich, machten fuͤrchterliche Gri¬
maſſen, indem ſie den Mund weit aufſperrten, die Augen umher¬
rollten. In den ſpaͤteren Jahren hatte er dieſe Viſionen auch bei
Tage, zumal waͤhrend der Sommerhitze, beim Heben ſchwerer La¬
ſten, oder wenn aus Furcht Flimmern vor den Augen, Schwin¬
del und Herzklopfen ſich einſtellten: nur nach den Aderlaͤſſen blieb
er auf einige Zeit von ihnen verſchont. Da dieſe Viſionen ſchon
in ſeinem fruͤheſten Alter auftraten, wo das Kind noch keine Re¬
flexionen anſtellt, ſo machten ſie auch keinen tiefen Eindruck auf
ihn, und nur gelegentlich empfand er eine Anwandlung von
Furcht, wenn entweder die Larven ein ſehr abſchreckendes Anſe¬
hen annahmen, oder wenn das Anhoͤren von Geſpenſtergeſchichten
ihm ein aberglaͤubiges Grauen eingefloͤßt hatte. Indeß durch ihre
haͤufige Wiederkehr wurden ſie ihm dergeſtalt zur Gewohnheit und
dadurch gleichguͤltig, daß er wortkarg und ſchuͤchtern gegen Nie¬
manden ſich daruͤber aͤußerte, und als er bei zunehmender Ver¬
ſtandesreife einer freieren Reflexion faͤhig wurde, ſagte er ſich
ſelbſt, daß Alles nur ein Spuk der Einbildungskraft ſei. Erſt
dann erlangte derſelbe fuͤr ihn eine ſchwere Bedeutung, als dar¬
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