diesen steten Kränkungen ihres sittlichen Gefühls vereinigten sich bald eine Menge von Wahrnehmungen, welche eben so sehr ihren religiösen Sinn verletzen mußten. Es mißfiel ihr, daß vor dem Genuß des Abendmahls die Theilnehmer an demselben eine öffentliche Buße ablegen mußten, wobei es ihr nicht entging, daß diejenigen, welche eine große Zerknirschung des Herzens zeigten, sich das größte Ansehen erwarben, daher sie hierin nur eine heuchlerische Gaukelei sehen konnte. Es empörte sie, als die lasterhaften Verirrungen einiger Neuauf¬ genommenen für die Folgen des Besuchs evangelischer Kirchen erklärt wurden; sie wurde zu Spott und Verachtung angeregt, als ein verständiger Mann, welchen man vergebens zum Ein¬ tritt in den Bund aufgefordert hatte, ihr erzählte, daß meh¬ rere Mitglieder ihren blinden Eifer, ihn eines Besseren zu be¬ lehren, durch eine kauderwälsche Saalbaderei über religiöse Gegenstände bethätigt hatten. Durch die Kanzelvorträge fühlte sie sich so wenig erbaut, daß sie dieselben in das eine Ohr hinein, aus dem andern wieder hinausgehen ließ. Oft kam es auch zu Glaubensstreitigkeiten, wo sie mit Härte zur Ruhe verwiesen wurde, wenn sie Ansichten äußerte, welche mit den in der Gemeinde angenommenen nicht übereinstimmten.
Nicht nur wurde durch dies alles ein wahrer Glaubens¬ zwang auf sie ausgeübt, von welchem sich zu befreien sie sich zu schwach fühlte, so daß sie gar nicht aus einem Widerstreite ihrer besseren Gefühle herauskam, sondern sie mußte auch of¬ fenbare Eingriffe in ihre persönlichen Rechte erfahren, gegen welche sie sich nur mit Mühe vertheidigen konnte. Sie wurde auf Grund absichtlicher Verleumdung der Faulheit beschuldigt, und man wollte sie zwingen, bei einer Tapisseriearbeiterin in Dienst zu treten, wozu sie sich auch wirklich auf einige Zeit bewegen ließ; sie sollte über Alles Rechenschaft ablegen, na¬ mentlich auch über ihr kümmerlich erspartes Geld, indeß wußte sie sich diesem Ansinnen zu entziehen. Ein junges Mädchen wollte in den Bund mit der unverkennbaren Absicht eintre¬ ten, dadurch Gelegenheit zu einer Verheirathung zu finden. Die W., welche eine solche Absicht mißbilligte, wurde beschul¬ digt, daß sie eine Verächterin der Ehe sei, welche sie nur aus der richtigen Würdigung ihrer ungünstigen Lage vermie¬
dieſen ſteten Kraͤnkungen ihres ſittlichen Gefuͤhls vereinigten ſich bald eine Menge von Wahrnehmungen, welche eben ſo ſehr ihren religioͤſen Sinn verletzen mußten. Es mißfiel ihr, daß vor dem Genuß des Abendmahls die Theilnehmer an demſelben eine oͤffentliche Buße ablegen mußten, wobei es ihr nicht entging, daß diejenigen, welche eine große Zerknirſchung des Herzens zeigten, ſich das groͤßte Anſehen erwarben, daher ſie hierin nur eine heuchleriſche Gaukelei ſehen konnte. Es empoͤrte ſie, als die laſterhaften Verirrungen einiger Neuauf¬ genommenen fuͤr die Folgen des Beſuchs evangeliſcher Kirchen erklaͤrt wurden; ſie wurde zu Spott und Verachtung angeregt, als ein verſtaͤndiger Mann, welchen man vergebens zum Ein¬ tritt in den Bund aufgefordert hatte, ihr erzaͤhlte, daß meh¬ rere Mitglieder ihren blinden Eifer, ihn eines Beſſeren zu be¬ lehren, durch eine kauderwaͤlſche Saalbaderei uͤber religioͤſe Gegenſtaͤnde bethaͤtigt hatten. Durch die Kanzelvortraͤge fuͤhlte ſie ſich ſo wenig erbaut, daß ſie dieſelben in das eine Ohr hinein, aus dem andern wieder hinausgehen ließ. Oft kam es auch zu Glaubensſtreitigkeiten, wo ſie mit Haͤrte zur Ruhe verwieſen wurde, wenn ſie Anſichten aͤußerte, welche mit den in der Gemeinde angenommenen nicht uͤbereinſtimmten.
Nicht nur wurde durch dies alles ein wahrer Glaubens¬ zwang auf ſie ausgeuͤbt, von welchem ſich zu befreien ſie ſich zu ſchwach fuͤhlte, ſo daß ſie gar nicht aus einem Widerſtreite ihrer beſſeren Gefuͤhle herauskam, ſondern ſie mußte auch of¬ fenbare Eingriffe in ihre perſoͤnlichen Rechte erfahren, gegen welche ſie ſich nur mit Muͤhe vertheidigen konnte. Sie wurde auf Grund abſichtlicher Verleumdung der Faulheit beſchuldigt, und man wollte ſie zwingen, bei einer Tapiſſeriearbeiterin in Dienſt zu treten, wozu ſie ſich auch wirklich auf einige Zeit bewegen ließ; ſie ſollte uͤber Alles Rechenſchaft ablegen, na¬ mentlich auch uͤber ihr kuͤmmerlich erſpartes Geld, indeß wußte ſie ſich dieſem Anſinnen zu entziehen. Ein junges Maͤdchen wollte in den Bund mit der unverkennbaren Abſicht eintre¬ ten, dadurch Gelegenheit zu einer Verheirathung zu finden. Die W., welche eine ſolche Abſicht mißbilligte, wurde beſchul¬ digt, daß ſie eine Veraͤchterin der Ehe ſei, welche ſie nur aus der richtigen Wuͤrdigung ihrer unguͤnſtigen Lage vermie¬
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dieſen ſteten Kraͤnkungen ihres ſittlichen Gefuͤhls vereinigten
ſich bald eine Menge von Wahrnehmungen, welche eben ſo
ſehr ihren religioͤſen Sinn verletzen mußten. Es mißfiel ihr,
daß vor dem Genuß des Abendmahls die Theilnehmer an
demſelben eine oͤffentliche Buße ablegen mußten, wobei es ihr
nicht entging, daß diejenigen, welche eine große Zerknirſchung
des Herzens zeigten, ſich das groͤßte Anſehen erwarben, daher
ſie hierin nur eine heuchleriſche Gaukelei ſehen konnte. Es
empoͤrte ſie, als die laſterhaften Verirrungen einiger Neuauf¬
genommenen fuͤr die Folgen des Beſuchs evangeliſcher Kirchen
erklaͤrt wurden; ſie wurde zu Spott und Verachtung angeregt,
als ein verſtaͤndiger Mann, welchen man vergebens zum Ein¬
tritt in den Bund aufgefordert hatte, ihr erzaͤhlte, daß meh¬
rere Mitglieder ihren blinden Eifer, ihn eines Beſſeren zu be¬
lehren, durch eine kauderwaͤlſche Saalbaderei uͤber religioͤſe
Gegenſtaͤnde bethaͤtigt hatten. Durch die Kanzelvortraͤge fuͤhlte
ſie ſich ſo wenig erbaut, daß ſie dieſelben in das eine Ohr
hinein, aus dem andern wieder hinausgehen ließ. Oft kam
es auch zu Glaubensſtreitigkeiten, wo ſie mit Haͤrte zur Ruhe
verwieſen wurde, wenn ſie Anſichten aͤußerte, welche mit den
in der Gemeinde angenommenen nicht uͤbereinſtimmten.
Nicht nur wurde durch dies alles ein wahrer Glaubens¬
zwang auf ſie ausgeuͤbt, von welchem ſich zu befreien ſie ſich
zu ſchwach fuͤhlte, ſo daß ſie gar nicht aus einem Widerſtreite
ihrer beſſeren Gefuͤhle herauskam, ſondern ſie mußte auch of¬
fenbare Eingriffe in ihre perſoͤnlichen Rechte erfahren, gegen
welche ſie ſich nur mit Muͤhe vertheidigen konnte. Sie wurde
auf Grund abſichtlicher Verleumdung der Faulheit beſchuldigt,
und man wollte ſie zwingen, bei einer Tapiſſeriearbeiterin in
Dienſt zu treten, wozu ſie ſich auch wirklich auf einige Zeit
bewegen ließ; ſie ſollte uͤber Alles Rechenſchaft ablegen, na¬
mentlich auch uͤber ihr kuͤmmerlich erſpartes Geld, indeß wußte
ſie ſich dieſem Anſinnen zu entziehen. Ein junges Maͤdchen
wollte in den Bund mit der unverkennbaren Abſicht eintre¬
ten, dadurch Gelegenheit zu einer Verheirathung zu finden.
Die W., welche eine ſolche Abſicht mißbilligte, wurde beſchul¬
digt, daß ſie eine Veraͤchterin der Ehe ſei, welche ſie nur
aus der richtigen Wuͤrdigung ihrer unguͤnſtigen Lage vermie¬
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/76>, abgerufen am 29.06.2024.
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