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Iffland, August Wilhelm: Die Jäger. Berlin, 1785.

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anwachsen sehen -- drei und zwanzig Jahre habe ich
meine Hoffnung auf ihn gesezt. Was ich für ihn
sagen kann, das kann kein Mensch sagen! Kein
Mensch -- und auch sein Vater nicht -- ich habe ihn
geboren! Mutterliebe geht über alles. Ich weiß,
wie ich gebetet habe, in der Stunde als er zur Welt
kam, daß ihn Gott gut und fromm werden lassen
möchte; und er ist brav geworden und kann kein Mör-
der sein. Ich weiß, wie er erzogen ist, ich muß es vor
Gott verantworten, und ich habe keinen boshaften
Mörder an ihm erzogen!
Amtmann. Sagen Sie mir nur, was Sie jezt
von mir wollen?
Obfstn. Was ich will? Herr Amtmann! Sie ha-
ben ja auch zwei Kinder. Sie wissen warhaftig, was
ich will.
Amtmann. Das Geschehene kann ich nicht unge-
schehen machen.
Obfstn. Kann Geld meinem Anton helfen? Neh-
men Sie unser halbes Vermögen, nehmen Sie es
ganz -- wenn wir ihm nur das Leben retten. Wir
wollen uns verschreiben, mein Mann und ich, alles
was wir noch erwerben, wollen wir gern hergeben,
wenn er nur das Leben behält. O ich will arbeiten
Tag
anwachſen ſehen — drei und zwanzig Jahre habe ich
meine Hoffnung auf ihn geſezt. Was ich fuͤr ihn
ſagen kann, das kann kein Menſch ſagen! Kein
Menſch — und auch ſein Vater nicht — ich habe ihn
geboren! Mutterliebe geht uͤber alles. Ich weiß,
wie ich gebetet habe, in der Stunde als er zur Welt
kam, daß ihn Gott gut und fromm werden laſſen
moͤchte; und er iſt brav geworden und kann kein Moͤr-
der ſein. Ich weiß, wie er erzogen iſt, ich muß es vor
Gott verantworten, und ich habe keinen boshaften
Moͤrder an ihm erzogen!
Amtmann. Sagen Sie mir nur, was Sie jezt
von mir wollen?
Obfſtn. Was ich will? Herr Amtmann! Sie ha-
ben ja auch zwei Kinder. Sie wiſſen warhaftig, was
ich will.
Amtmann. Das Geſchehene kann ich nicht unge-
ſchehen machen.
Obfſtn. Kann Geld meinem Anton helfen? Neh-
men Sie unſer halbes Vermoͤgen, nehmen Sie es
ganz — wenn wir ihm nur das Leben retten. Wir
wollen uns verſchreiben, mein Mann und ich, alles
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[176/0182] anwachſen ſehen — drei und zwanzig Jahre habe ich meine Hoffnung auf ihn geſezt. Was ich fuͤr ihn ſagen kann, das kann kein Menſch ſagen! Kein Menſch — und auch ſein Vater nicht — ich habe ihn geboren! Mutterliebe geht uͤber alles. Ich weiß, wie ich gebetet habe, in der Stunde als er zur Welt kam, daß ihn Gott gut und fromm werden laſſen moͤchte; und er iſt brav geworden und kann kein Moͤr- der ſein. Ich weiß, wie er erzogen iſt, ich muß es vor Gott verantworten, und ich habe keinen boshaften Moͤrder an ihm erzogen! Amtmann. Sagen Sie mir nur, was Sie jezt von mir wollen? Obfſtn. Was ich will? Herr Amtmann! Sie ha- ben ja auch zwei Kinder. Sie wiſſen warhaftig, was ich will. Amtmann. Das Geſchehene kann ich nicht unge- ſchehen machen. Obfſtn. Kann Geld meinem Anton helfen? Neh- men Sie unſer halbes Vermoͤgen, nehmen Sie es ganz — wenn wir ihm nur das Leben retten. Wir wollen uns verſchreiben, mein Mann und ich, alles was wir noch erwerben, wollen wir gern hergeben, wenn er nur das Leben behaͤlt. O ich will arbeiten Tag

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Zitationshilfe: Iffland, August Wilhelm: Die Jäger. Berlin, 1785, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/iffland_jaeger_1785/182>, abgerufen am 04.12.2024.