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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ist etwas Neues; ich möchte es wohl auch einmal versuchen, vielleicht finde ich in den Tiefen bußfertiger Zerknirschung eine frische Wollust, nach der ich lechze; alles Uebrige habe ich gekostet. -- Mit dieser verruchten und gotteslästerlichen Rede schied er von mir. Ich wußte, daß er Wort zu halten im Stande sei. Dieser Mensch ist unglaublicher Dinge fähig. Ich sah die Schande und den Pranger mit den Augen meines Geistes; ich dachte an meine Eltern und an den erlauchten Namen, den ich trage; ich bat Gott, mir aus dem Netze des Unglücks, in dem ich gefangen war, zu helfen, er ließ mich aber ohne Rath und ohne Erleuchtung. -- Am andern Morgen versuchte ich alles Mögliche, den Fremden zu entfernen, damit die Veranlassung zu fernerer Unwürdigkeit hinwegfiele, es war vergebens; ein Schicksal, mächtiger, als der schwache Wille eines tadelnswürdigen Weibes, hielt mich gefesselt, mein Begleiter übte die Kraft seines Blicks, worin ich seinen ganzen Entschluß las, über mich aus, zerbrochen gab ich mich hin und that, was ich gelehrt wurde, zu thun. Doch glaube ich, daß ich während meiner Verstellung nichts von dem zu dem Fremden gesprochen habe, was mir mein Begleiter befohlen hatte zu sagen. Ich lag im Lehnsessel, dachte nichts, fühlte nichts, meine Seele befand sich in dem Zustande einer völligen Auflösung. Endlich überschattete mich eine Ohnmacht; ich weiß nicht, wie lange ich so gelegen habe. Erwacht, sah ich meinen Begleiter vor mir stehn: er hielt eine erbrochne leere Schatulle in der

ist etwas Neues; ich möchte es wohl auch einmal versuchen, vielleicht finde ich in den Tiefen bußfertiger Zerknirschung eine frische Wollust, nach der ich lechze; alles Uebrige habe ich gekostet. — Mit dieser verruchten und gotteslästerlichen Rede schied er von mir. Ich wußte, daß er Wort zu halten im Stande sei. Dieser Mensch ist unglaublicher Dinge fähig. Ich sah die Schande und den Pranger mit den Augen meines Geistes; ich dachte an meine Eltern und an den erlauchten Namen, den ich trage; ich bat Gott, mir aus dem Netze des Unglücks, in dem ich gefangen war, zu helfen, er ließ mich aber ohne Rath und ohne Erleuchtung. — Am andern Morgen versuchte ich alles Mögliche, den Fremden zu entfernen, damit die Veranlassung zu fernerer Unwürdigkeit hinwegfiele, es war vergebens; ein Schicksal, mächtiger, als der schwache Wille eines tadelnswürdigen Weibes, hielt mich gefesselt, mein Begleiter übte die Kraft seines Blicks, worin ich seinen ganzen Entschluß las, über mich aus, zerbrochen gab ich mich hin und that, was ich gelehrt wurde, zu thun. Doch glaube ich, daß ich während meiner Verstellung nichts von dem zu dem Fremden gesprochen habe, was mir mein Begleiter befohlen hatte zu sagen. Ich lag im Lehnsessel, dachte nichts, fühlte nichts, meine Seele befand sich in dem Zustande einer völligen Auflösung. Endlich überschattete mich eine Ohnmacht; ich weiß nicht, wie lange ich so gelegen habe. Erwacht, sah ich meinen Begleiter vor mir stehn: er hielt eine erbrochne leere Schatulle in der

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/106>, abgerufen am 21.11.2024.