Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.unendlich reinen Herzen, seine Unbeholfenheit, seine Pedanterie verschwistert mit der tiefsten Empfindung und einem reichen Geiste, von dem er nur keine Anwendung machen konnte. Erstaunt über diese Entdeckungen, wunderte sie sich, daß ihr dieselben nicht schon lange aufgegangen waren. Ihr Gemüth freute sich, wie über einen unvermuthet ausgegrabenen Schatz, sie wußte nicht, wie ihr geschehen war, es lag hinter ihr wie eine Dämmerung, eine sanfte Wärme begann die abgestorbenen Blüthen ihres Herzens neu zu beleben. Indessen blieb das Glück diesem Bunde fern. Der nacherworbene Geliebte hätte ihr imponiren müssen, das war nicht der Fall. Scheinbar beschränkt, erfahrungslos stand er der Vielgereisten, die Alles gesehen und gehört hatte, gegenüber. Auch schämte sie sich gewissermaßen ihrer Empfindung, die sie eine Schwäche nannte, sie fürchtete eine volle Hingebung, die sie einmal so schwer hatte büßen müssen; abwechselnd kokett und kalt, traf sie nie das rechte Wort, welches nur ein unschuldiges Wesen aus der Fülle der überströmenden Liebe dem Manne zu sagen vermag. Sie fürchtete immer zu verlieren, sie kränkelte sich zwischen Stolz, Wehmuth und Lachen hin, sie war, daß wir es kurz sagen, eine geistreiche Frau, wie wir so viele sehen. Er an seiner Seite verstand das Uebel nicht und machte es durch Sentimentalität ärger. Was er ihr gab, das nahm sie hin als Recht, die Forderungen seines Herzens schien sie nur halb, gezwungen, zweifelnd anzuerkennen. So schwankten ihre unendlich reinen Herzen, seine Unbeholfenheit, seine Pedanterie verschwistert mit der tiefsten Empfindung und einem reichen Geiste, von dem er nur keine Anwendung machen konnte. Erstaunt über diese Entdeckungen, wunderte sie sich, daß ihr dieselben nicht schon lange aufgegangen waren. Ihr Gemüth freute sich, wie über einen unvermuthet ausgegrabenen Schatz, sie wußte nicht, wie ihr geschehen war, es lag hinter ihr wie eine Dämmerung, eine sanfte Wärme begann die abgestorbenen Blüthen ihres Herzens neu zu beleben. Indessen blieb das Glück diesem Bunde fern. Der nacherworbene Geliebte hätte ihr imponiren müssen, das war nicht der Fall. Scheinbar beschränkt, erfahrungslos stand er der Vielgereisten, die Alles gesehen und gehört hatte, gegenüber. Auch schämte sie sich gewissermaßen ihrer Empfindung, die sie eine Schwäche nannte, sie fürchtete eine volle Hingebung, die sie einmal so schwer hatte büßen müssen; abwechselnd kokett und kalt, traf sie nie das rechte Wort, welches nur ein unschuldiges Wesen aus der Fülle der überströmenden Liebe dem Manne zu sagen vermag. Sie fürchtete immer zu verlieren, sie kränkelte sich zwischen Stolz, Wehmuth und Lachen hin, sie war, daß wir es kurz sagen, eine geistreiche Frau, wie wir so viele sehen. Er an seiner Seite verstand das Uebel nicht und machte es durch Sentimentalität ärger. Was er ihr gab, das nahm sie hin als Recht, die Forderungen seines Herzens schien sie nur halb, gezwungen, zweifelnd anzuerkennen. So schwankten ihre <TEI> <text> <body> <div n="20"> <p><pb facs="#f0115"/> unendlich reinen Herzen, seine Unbeholfenheit, seine Pedanterie verschwistert mit der tiefsten Empfindung und einem reichen Geiste, von dem er nur keine Anwendung machen konnte. Erstaunt über diese Entdeckungen, wunderte sie sich, daß ihr dieselben nicht schon lange aufgegangen waren. Ihr Gemüth freute sich, wie über einen unvermuthet ausgegrabenen Schatz, sie wußte nicht, wie ihr geschehen war, es lag hinter ihr wie eine Dämmerung, eine sanfte Wärme begann die abgestorbenen Blüthen ihres Herzens neu zu beleben.</p><lb/> <p>Indessen blieb das Glück diesem Bunde fern. Der nacherworbene Geliebte hätte ihr imponiren müssen, das war nicht der Fall. Scheinbar beschränkt, erfahrungslos stand er der Vielgereisten, die Alles gesehen und gehört hatte, gegenüber. Auch schämte sie sich gewissermaßen ihrer Empfindung, die sie eine Schwäche nannte, sie fürchtete eine volle Hingebung, die sie einmal so schwer hatte büßen müssen; abwechselnd kokett und kalt, traf sie nie das rechte Wort, welches nur ein unschuldiges Wesen aus der Fülle der überströmenden Liebe dem Manne zu sagen vermag. Sie fürchtete immer zu verlieren, sie kränkelte sich zwischen Stolz, Wehmuth und Lachen hin, sie war, daß wir es kurz sagen, eine geistreiche Frau, wie wir so viele sehen. Er an seiner Seite verstand das Uebel nicht und machte es durch Sentimentalität ärger. Was er ihr gab, das nahm sie hin als Recht, die Forderungen seines Herzens schien sie nur halb, gezwungen, zweifelnd anzuerkennen. So schwankten ihre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
unendlich reinen Herzen, seine Unbeholfenheit, seine Pedanterie verschwistert mit der tiefsten Empfindung und einem reichen Geiste, von dem er nur keine Anwendung machen konnte. Erstaunt über diese Entdeckungen, wunderte sie sich, daß ihr dieselben nicht schon lange aufgegangen waren. Ihr Gemüth freute sich, wie über einen unvermuthet ausgegrabenen Schatz, sie wußte nicht, wie ihr geschehen war, es lag hinter ihr wie eine Dämmerung, eine sanfte Wärme begann die abgestorbenen Blüthen ihres Herzens neu zu beleben.
Indessen blieb das Glück diesem Bunde fern. Der nacherworbene Geliebte hätte ihr imponiren müssen, das war nicht der Fall. Scheinbar beschränkt, erfahrungslos stand er der Vielgereisten, die Alles gesehen und gehört hatte, gegenüber. Auch schämte sie sich gewissermaßen ihrer Empfindung, die sie eine Schwäche nannte, sie fürchtete eine volle Hingebung, die sie einmal so schwer hatte büßen müssen; abwechselnd kokett und kalt, traf sie nie das rechte Wort, welches nur ein unschuldiges Wesen aus der Fülle der überströmenden Liebe dem Manne zu sagen vermag. Sie fürchtete immer zu verlieren, sie kränkelte sich zwischen Stolz, Wehmuth und Lachen hin, sie war, daß wir es kurz sagen, eine geistreiche Frau, wie wir so viele sehen. Er an seiner Seite verstand das Uebel nicht und machte es durch Sentimentalität ärger. Was er ihr gab, das nahm sie hin als Recht, die Forderungen seines Herzens schien sie nur halb, gezwungen, zweifelnd anzuerkennen. So schwankten ihre
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/115>, abgerufen am 16.02.2025. |