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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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machen, sie habe den Bestohlnen geliebt. Ich ließ die Sache auf sich beruhn, ich war in meinem Innern gewiß, daß es eine Fabel war. Wenn man eine geraume Zeit lang die Menschen beobachtet hat, wie ich vermöge meines Amts genöthigt gewesen bin, so erwirbt man am Ende einen Blick, den so leicht nichts trügt.

Gustav war zu ernst gestimmt, um über die wunderliche Zuversicht des Richters lächeln zu können. Dieser fuhr, von sich begeistert, fort: Aber ihren Begleiter hatte ich auch, wenn ich so sagen darf, auf den ersten Griff weg. Ein merkwürdiger, bedeutender Mensch, einer, der, wie Schiller von seinem Räuber sagt, nothwendig entweder Brutus oder Catilina werden mußte. Ich habe an seinem Sarge geweint, denn mein Beruf hat in mir nicht den Menschen ausgetilgt.

Ist jener Verbrecher todt? fragte Gustav erstaunt. Mein Herr, versetzte gereizt der Richter, Sie scheinen meine Beiträge zur Seelenkunde und Menschenkenntniß ziemlich flüchtig gelesen zu haben. Freilich ist er todt, ich habe ja sein Ende in jenem Buche weitläuftig erzählt. -- Es war ihm nichts zu beweisen; wie der Aal, wie die Schlange glitt er mir unter den Händen weg, wenn ich ihn festzuhalten glaubte. Es erfolgte ein freisprechendes Urtheil. Als ich ihm dies eröffnete, flog ein wildes Lächeln über sein Gesicht. So habe ich denn meinen Proceß gewonnen! rief er und schien einem Entschlüsse nachzusinnen. -- Mein Fehler ist ein unüberwindlicher Widerspruchsgeist, fuhr er fort. Und so sage ich Ihnen

machen, sie habe den Bestohlnen geliebt. Ich ließ die Sache auf sich beruhn, ich war in meinem Innern gewiß, daß es eine Fabel war. Wenn man eine geraume Zeit lang die Menschen beobachtet hat, wie ich vermöge meines Amts genöthigt gewesen bin, so erwirbt man am Ende einen Blick, den so leicht nichts trügt.

Gustav war zu ernst gestimmt, um über die wunderliche Zuversicht des Richters lächeln zu können. Dieser fuhr, von sich begeistert, fort: Aber ihren Begleiter hatte ich auch, wenn ich so sagen darf, auf den ersten Griff weg. Ein merkwürdiger, bedeutender Mensch, einer, der, wie Schiller von seinem Räuber sagt, nothwendig entweder Brutus oder Catilina werden mußte. Ich habe an seinem Sarge geweint, denn mein Beruf hat in mir nicht den Menschen ausgetilgt.

Ist jener Verbrecher todt? fragte Gustav erstaunt. Mein Herr, versetzte gereizt der Richter, Sie scheinen meine Beiträge zur Seelenkunde und Menschenkenntniß ziemlich flüchtig gelesen zu haben. Freilich ist er todt, ich habe ja sein Ende in jenem Buche weitläuftig erzählt. — Es war ihm nichts zu beweisen; wie der Aal, wie die Schlange glitt er mir unter den Händen weg, wenn ich ihn festzuhalten glaubte. Es erfolgte ein freisprechendes Urtheil. Als ich ihm dies eröffnete, flog ein wildes Lächeln über sein Gesicht. So habe ich denn meinen Proceß gewonnen! rief er und schien einem Entschlüsse nachzusinnen. — Mein Fehler ist ein unüberwindlicher Widerspruchsgeist, fuhr er fort. Und so sage ich Ihnen

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[0129] machen, sie habe den Bestohlnen geliebt. Ich ließ die Sache auf sich beruhn, ich war in meinem Innern gewiß, daß es eine Fabel war. Wenn man eine geraume Zeit lang die Menschen beobachtet hat, wie ich vermöge meines Amts genöthigt gewesen bin, so erwirbt man am Ende einen Blick, den so leicht nichts trügt. Gustav war zu ernst gestimmt, um über die wunderliche Zuversicht des Richters lächeln zu können. Dieser fuhr, von sich begeistert, fort: Aber ihren Begleiter hatte ich auch, wenn ich so sagen darf, auf den ersten Griff weg. Ein merkwürdiger, bedeutender Mensch, einer, der, wie Schiller von seinem Räuber sagt, nothwendig entweder Brutus oder Catilina werden mußte. Ich habe an seinem Sarge geweint, denn mein Beruf hat in mir nicht den Menschen ausgetilgt. Ist jener Verbrecher todt? fragte Gustav erstaunt. Mein Herr, versetzte gereizt der Richter, Sie scheinen meine Beiträge zur Seelenkunde und Menschenkenntniß ziemlich flüchtig gelesen zu haben. Freilich ist er todt, ich habe ja sein Ende in jenem Buche weitläuftig erzählt. — Es war ihm nichts zu beweisen; wie der Aal, wie die Schlange glitt er mir unter den Händen weg, wenn ich ihn festzuhalten glaubte. Es erfolgte ein freisprechendes Urtheil. Als ich ihm dies eröffnete, flog ein wildes Lächeln über sein Gesicht. So habe ich denn meinen Proceß gewonnen! rief er und schien einem Entschlüsse nachzusinnen. — Mein Fehler ist ein unüberwindlicher Widerspruchsgeist, fuhr er fort. Und so sage ich Ihnen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/129>, abgerufen am 21.11.2024.