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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ich nahm sie auf. Es war dieses eine hohe, nach vorn in eine gekrümmte Spitze auslaufende Mütze von rothem, weißem und grünem Tuche. Sie hatte die Gestalt der phrygischen Kopfbedeckung, welche die Statuen des Paris charakterisirt. Ich betrachtete sie aufmerksam und fragte: Tragt ihr dergleichen jetzt hier? Das ist eine auffallende Mode. -- Es ist meine Narrenkappe, erwiderte der Freund und steckte sie verdrießlich zusammengewickelt in die Tasche. Man darf ohne den Bettel nicht in den Versammlungen erscheinen, ich hatte sie in meiner Freude über den Sturz jenes schändlichen Ministeriums aus Zerstreuung auf dem Kopfe behalten.

Ich wünschte das Gespräch aus dem politischen Gleise zu lenken und sagte meinem Freunde, daß ich mich freute, ihn mit diesen unschuldigen Thorheiten beschäftigt zu sehen, ich hätte bei seinem Ernste ihn dessen nicht für fähig gehalten. Worauf er mir voll Würde entgegnete: Sehr irrst du, wenn du glaubst, daß ich von Herzen solche Kindereien treiben könnte. Wahr ist es, ich bin Mitglied des Comites, ich wohne allen Gelagen bei, die der Hauptabgeschmacktheit vorhergehn, ich helfe die Geckenzeitung redigiren, ich bin, dem Scheine nach, Geck, reiner Geck, nichts als Geck. Aber das Alles ist nur Maske, unter derselben wirke ich für das Eine, was Noth thut. Leider sind uns in Deutschland die Besserungen ins Große und Ganze versagt, so muß man im Kleinen und Einzelnen etwas auszurichten suchen. -- Und auch den Carneval benützest du für

ich nahm sie auf. Es war dieses eine hohe, nach vorn in eine gekrümmte Spitze auslaufende Mütze von rothem, weißem und grünem Tuche. Sie hatte die Gestalt der phrygischen Kopfbedeckung, welche die Statuen des Paris charakterisirt. Ich betrachtete sie aufmerksam und fragte: Tragt ihr dergleichen jetzt hier? Das ist eine auffallende Mode. — Es ist meine Narrenkappe, erwiderte der Freund und steckte sie verdrießlich zusammengewickelt in die Tasche. Man darf ohne den Bettel nicht in den Versammlungen erscheinen, ich hatte sie in meiner Freude über den Sturz jenes schändlichen Ministeriums aus Zerstreuung auf dem Kopfe behalten.

Ich wünschte das Gespräch aus dem politischen Gleise zu lenken und sagte meinem Freunde, daß ich mich freute, ihn mit diesen unschuldigen Thorheiten beschäftigt zu sehen, ich hätte bei seinem Ernste ihn dessen nicht für fähig gehalten. Worauf er mir voll Würde entgegnete: Sehr irrst du, wenn du glaubst, daß ich von Herzen solche Kindereien treiben könnte. Wahr ist es, ich bin Mitglied des Comites, ich wohne allen Gelagen bei, die der Hauptabgeschmacktheit vorhergehn, ich helfe die Geckenzeitung redigiren, ich bin, dem Scheine nach, Geck, reiner Geck, nichts als Geck. Aber das Alles ist nur Maske, unter derselben wirke ich für das Eine, was Noth thut. Leider sind uns in Deutschland die Besserungen ins Große und Ganze versagt, so muß man im Kleinen und Einzelnen etwas auszurichten suchen. — Und auch den Carneval benützest du für

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/55>, abgerufen am 24.11.2024.