Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.lachte über diesen Einfall mehr, als letzterer verdiente; als er wieder zu sich selbst gekommen war, schwadronirte er weiter: Ich habe mir in meiner dreißigjährigen Praxis im Ganzen fünf Classen von Gästen abstrahirt. -- Sehn Sie, mein Herr, in der ersten Classe stehn die Schlemmer. Die schlagen das liebe Gut hinein, mir nichts, dir nichts, denen ist der Wein Wein und Caviar Caviar, die denken an nichts, als an Essen und Trinken dabei. Nun, die bekommen die Flasche denn auch nur so hingesetzt ohne Feinheit, ohne daß ein Wort mit ihnen gesprochen wird. Das ist der Schlamm, die Grundsuppe einer Weinstube. Nun kommt die zweite Classe: die Gesprächigen. Hübsche Leute, charmante Leute. Trinken, um besser klatschen zu können, wissen Alles, reden von Allem, ob der Türkenkrieg ein allgemeiner werde, wie es mit Herrn Hinzens Vermögensumständen sich habe, ob Madame Kunz schon wieder verheirathet sei? und dergleichen mehr. Und wie behandeln Sie diese? fragte ich den Schwätzer. Zu denen setze ich mich, von denen lasse ich mich aufziehn, erwiderte er, und dafür geben sie etwas mehr, als die Anderen. Die dritte Classe begreift die Melancholischen und Hochmüthigen unter sich. Sie sind mit Gott und der Welt zerfallen, wissen nicht, wo es ihnen sitzt, möchten aus der Haut fahren, ohne sagen zu können, wohin? fühlen ihre Gaben nirgends anerkannt, hätten viel höher steigen müssen, wenn es nach Verdienst lachte über diesen Einfall mehr, als letzterer verdiente; als er wieder zu sich selbst gekommen war, schwadronirte er weiter: Ich habe mir in meiner dreißigjährigen Praxis im Ganzen fünf Classen von Gästen abstrahirt. — Sehn Sie, mein Herr, in der ersten Classe stehn die Schlemmer. Die schlagen das liebe Gut hinein, mir nichts, dir nichts, denen ist der Wein Wein und Caviar Caviar, die denken an nichts, als an Essen und Trinken dabei. Nun, die bekommen die Flasche denn auch nur so hingesetzt ohne Feinheit, ohne daß ein Wort mit ihnen gesprochen wird. Das ist der Schlamm, die Grundsuppe einer Weinstube. Nun kommt die zweite Classe: die Gesprächigen. Hübsche Leute, charmante Leute. Trinken, um besser klatschen zu können, wissen Alles, reden von Allem, ob der Türkenkrieg ein allgemeiner werde, wie es mit Herrn Hinzens Vermögensumständen sich habe, ob Madame Kunz schon wieder verheirathet sei? und dergleichen mehr. Und wie behandeln Sie diese? fragte ich den Schwätzer. Zu denen setze ich mich, von denen lasse ich mich aufziehn, erwiderte er, und dafür geben sie etwas mehr, als die Anderen. Die dritte Classe begreift die Melancholischen und Hochmüthigen unter sich. Sie sind mit Gott und der Welt zerfallen, wissen nicht, wo es ihnen sitzt, möchten aus der Haut fahren, ohne sagen zu können, wohin? fühlen ihre Gaben nirgends anerkannt, hätten viel höher steigen müssen, wenn es nach Verdienst <TEI> <text> <body> <div n="14"> <p><pb facs="#f0072"/> lachte über diesen Einfall mehr, als letzterer verdiente; als er wieder zu sich selbst gekommen war, schwadronirte er weiter: Ich habe mir in meiner dreißigjährigen Praxis im Ganzen fünf Classen von Gästen abstrahirt. — Sehn Sie, mein Herr, in der ersten Classe stehn die Schlemmer. Die schlagen das liebe Gut hinein, mir nichts, dir nichts, denen ist der Wein Wein und Caviar Caviar, die denken an nichts, als an Essen und Trinken dabei. Nun, die bekommen die Flasche denn auch nur so hingesetzt ohne Feinheit, ohne daß ein Wort mit ihnen gesprochen wird. Das ist der Schlamm, die Grundsuppe einer Weinstube. Nun kommt die zweite Classe: die Gesprächigen. Hübsche Leute, charmante Leute. Trinken, um besser klatschen zu können, wissen Alles, reden von Allem, ob der Türkenkrieg ein allgemeiner werde, wie es mit Herrn Hinzens Vermögensumständen sich habe, ob Madame Kunz schon wieder verheirathet sei? und dergleichen mehr.</p><lb/> <p>Und wie behandeln Sie diese? fragte ich den Schwätzer.</p><lb/> <p>Zu denen setze ich mich, von denen lasse ich mich aufziehn, erwiderte er, und dafür geben sie etwas mehr, als die Anderen. Die dritte Classe begreift die Melancholischen und Hochmüthigen unter sich. Sie sind mit Gott und der Welt zerfallen, wissen nicht, wo es ihnen sitzt, möchten aus der Haut fahren, ohne sagen zu können, wohin? fühlen ihre Gaben nirgends anerkannt, hätten viel höher steigen müssen, wenn es nach Verdienst<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
lachte über diesen Einfall mehr, als letzterer verdiente; als er wieder zu sich selbst gekommen war, schwadronirte er weiter: Ich habe mir in meiner dreißigjährigen Praxis im Ganzen fünf Classen von Gästen abstrahirt. — Sehn Sie, mein Herr, in der ersten Classe stehn die Schlemmer. Die schlagen das liebe Gut hinein, mir nichts, dir nichts, denen ist der Wein Wein und Caviar Caviar, die denken an nichts, als an Essen und Trinken dabei. Nun, die bekommen die Flasche denn auch nur so hingesetzt ohne Feinheit, ohne daß ein Wort mit ihnen gesprochen wird. Das ist der Schlamm, die Grundsuppe einer Weinstube. Nun kommt die zweite Classe: die Gesprächigen. Hübsche Leute, charmante Leute. Trinken, um besser klatschen zu können, wissen Alles, reden von Allem, ob der Türkenkrieg ein allgemeiner werde, wie es mit Herrn Hinzens Vermögensumständen sich habe, ob Madame Kunz schon wieder verheirathet sei? und dergleichen mehr.
Und wie behandeln Sie diese? fragte ich den Schwätzer.
Zu denen setze ich mich, von denen lasse ich mich aufziehn, erwiderte er, und dafür geben sie etwas mehr, als die Anderen. Die dritte Classe begreift die Melancholischen und Hochmüthigen unter sich. Sie sind mit Gott und der Welt zerfallen, wissen nicht, wo es ihnen sitzt, möchten aus der Haut fahren, ohne sagen zu können, wohin? fühlen ihre Gaben nirgends anerkannt, hätten viel höher steigen müssen, wenn es nach Verdienst
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T12:19:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T12:19:09Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |