bisher verabsäumt von dem alten Weibe zu reden. Endlich verfiel der alte Baron auf die unter den obwaltenden Umständen so natürliche Frage, der Bediente gab die Auskunft, die er ertheilen konnte, wurde der Spitzbübin nachgesandt, rannte einen halben Tag lang in allen Richtungen umher, kam aber unverrichteter Sache zurück, denn er hatte weder das alte Weib gesehen, noch Jemand ge- troffen, der sie gesehen hätte.
Inzwischen waren die Frauen, die alte Ba- ronesse, welche damals noch lebte, und Fräulein Emerentia, in das Zimmer getreten, und der alte Baron, der mit seiner eigenen Verwunderung noch zu schaffen hatte, mußte jetzt dem Sturme von Ausrufungen und Fragen Rede stehn, welcher über die Lippen der Gemahlin und Tochter strich. Eine Dienerin war gefolgt und sorgte, während die Herrschaften über die Exegese des Ereignisses verhandelten, für die nothdürftige Fütterung und Stillung des noch immer schreienden Kindes.
Als dieses still, lächelnd und schlummernd wie- der in seiner Schachtel lag, setzte sich die Familie um den Tisch, worauf letztere stand, zu einer Be- rathung nieder, was mit dem Findlinge zu begin-
bisher verabſäumt von dem alten Weibe zu reden. Endlich verfiel der alte Baron auf die unter den obwaltenden Umſtänden ſo natürliche Frage, der Bediente gab die Auskunft, die er ertheilen konnte, wurde der Spitzbübin nachgeſandt, rannte einen halben Tag lang in allen Richtungen umher, kam aber unverrichteter Sache zurück, denn er hatte weder das alte Weib geſehen, noch Jemand ge- troffen, der ſie geſehen hätte.
Inzwiſchen waren die Frauen, die alte Ba- roneſſe, welche damals noch lebte, und Fräulein Emerentia, in das Zimmer getreten, und der alte Baron, der mit ſeiner eigenen Verwunderung noch zu ſchaffen hatte, mußte jetzt dem Sturme von Ausrufungen und Fragen Rede ſtehn, welcher über die Lippen der Gemahlin und Tochter ſtrich. Eine Dienerin war gefolgt und ſorgte, während die Herrſchaften über die Exegeſe des Ereigniſſes verhandelten, für die nothdürftige Fütterung und Stillung des noch immer ſchreienden Kindes.
Als dieſes ſtill, lächelnd und ſchlummernd wie- der in ſeiner Schachtel lag, ſetzte ſich die Familie um den Tiſch, worauf letztere ſtand, zu einer Be- rathung nieder, was mit dem Findlinge zu begin-
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bisher verabſäumt von dem alten Weibe zu reden.
Endlich verfiel der alte Baron auf die unter den
obwaltenden Umſtänden ſo natürliche Frage, der
Bediente gab die Auskunft, die er ertheilen konnte,
wurde der Spitzbübin nachgeſandt, rannte einen
halben Tag lang in allen Richtungen umher, kam
aber unverrichteter Sache zurück, denn er hatte
weder das alte Weib geſehen, noch Jemand ge-
troffen, der ſie geſehen hätte.
Inzwiſchen waren die Frauen, die alte Ba-
roneſſe, welche damals noch lebte, und Fräulein
Emerentia, in das Zimmer getreten, und der alte
Baron, der mit ſeiner eigenen Verwunderung noch
zu ſchaffen hatte, mußte jetzt dem Sturme von
Ausrufungen und Fragen Rede ſtehn, welcher
über die Lippen der Gemahlin und Tochter ſtrich.
Eine Dienerin war gefolgt und ſorgte, während
die Herrſchaften über die Exegeſe des Ereigniſſes
verhandelten, für die nothdürftige Fütterung und
Stillung des noch immer ſchreienden Kindes.
Als dieſes ſtill, lächelnd und ſchlummernd wie-
der in ſeiner Schachtel lag, ſetzte ſich die Familie
um den Tiſch, worauf letztere ſtand, zu einer Be-
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/141>, abgerufen am 18.12.2024.
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