Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

die Schnäbeleien nicht mit ansehen zu dürfen, wo-
mit diese Thiere nach der Lebhaftigkeit ihres Na-
turells leider gegen einander nur zu freigebig sind.

In dem Findlinge ahnete sie nun, wie sie sagte,
(und die Ahnung der Frauen ist stäts sicher und
wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die
sie vor Schaam kaum hervorzubringen vermochte!
Sie erklärte, daß sie eine solche nur mit Abscheu
anzusehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der
Creatur unerträglich seyn werde. Sie beschwor
ihren Vater, das Kind einer öffentlichen An-
stalt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb fest
bei seinem Vorsatze, und da die Mutter, wie schon
berichtet worden ist, auch auf seine Seite getreten
war, so mußte sich Emerentia endlich, wiewohl
mit großem Widerwillen, fügen.

Diesen ließ sie aber in der Folge auf jede
Weise an dem Kinde aus, und selbst, als die blon-
de Elisabeth, oder Lisbeth, wie sie im Schlosse ge-
nannt wurde, heranwuchs, und das beste, zuthätig-
ste Wesen wurde, mochte sie sich selten dazu ver-
stehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth
dagegen war durch nichts in den sonderbaren Nei-
gungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben

die Schnäbeleien nicht mit anſehen zu dürfen, wo-
mit dieſe Thiere nach der Lebhaftigkeit ihres Na-
turells leider gegen einander nur zu freigebig ſind.

In dem Findlinge ahnete ſie nun, wie ſie ſagte,
(und die Ahnung der Frauen iſt ſtäts ſicher und
wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die
ſie vor Schaam kaum hervorzubringen vermochte!
Sie erklärte, daß ſie eine ſolche nur mit Abſcheu
anzuſehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der
Creatur unerträglich ſeyn werde. Sie beſchwor
ihren Vater, das Kind einer öffentlichen An-
ſtalt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb feſt
bei ſeinem Vorſatze, und da die Mutter, wie ſchon
berichtet worden iſt, auch auf ſeine Seite getreten
war, ſo mußte ſich Emerentia endlich, wiewohl
mit großem Widerwillen, fügen.

Dieſen ließ ſie aber in der Folge auf jede
Weiſe an dem Kinde aus, und ſelbſt, als die blon-
de Eliſabeth, oder Lisbeth, wie ſie im Schloſſe ge-
nannt wurde, heranwuchs, und das beſte, zuthätig-
ſte Weſen wurde, mochte ſie ſich ſelten dazu ver-
ſtehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth
dagegen war durch nichts in den ſonderbaren Nei-
gungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0143" n="135"/>
die Schnäbeleien nicht mit an&#x017F;ehen zu dürfen, wo-<lb/>
mit die&#x017F;e Thiere nach der Lebhaftigkeit ihres Na-<lb/>
turells leider gegen einander nur zu freigebig &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>In dem Findlinge ahnete &#x017F;ie nun, wie &#x017F;ie &#x017F;agte,<lb/>
(und die Ahnung der Frauen i&#x017F;t &#x017F;täts &#x017F;icher und<lb/>
wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die<lb/>
&#x017F;ie vor Schaam kaum hervorzubringen vermochte!<lb/>
Sie erklärte, daß &#x017F;ie eine &#x017F;olche nur mit Ab&#x017F;cheu<lb/>
anzu&#x017F;ehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der<lb/>
Creatur unerträglich &#x017F;eyn werde. Sie be&#x017F;chwor<lb/>
ihren Vater, das Kind einer öffentlichen An-<lb/>
&#x017F;talt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb fe&#x017F;t<lb/>
bei &#x017F;einem Vor&#x017F;atze, und da die Mutter, wie &#x017F;chon<lb/>
berichtet worden i&#x017F;t, auch auf &#x017F;eine Seite getreten<lb/>
war, &#x017F;o mußte &#x017F;ich Emerentia endlich, wiewohl<lb/>
mit großem Widerwillen, fügen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;en ließ &#x017F;ie aber in der Folge auf jede<lb/>
Wei&#x017F;e an dem Kinde aus, und &#x017F;elb&#x017F;t, als die blon-<lb/>
de Eli&#x017F;abeth, oder Lisbeth, wie &#x017F;ie im Schlo&#x017F;&#x017F;e ge-<lb/>
nannt wurde, heranwuchs, und das be&#x017F;te, zuthätig-<lb/>
&#x017F;te We&#x017F;en wurde, mochte &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elten dazu ver-<lb/>
&#x017F;tehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth<lb/>
dagegen war durch nichts in den &#x017F;onderbaren Nei-<lb/>
gungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0143] die Schnäbeleien nicht mit anſehen zu dürfen, wo- mit dieſe Thiere nach der Lebhaftigkeit ihres Na- turells leider gegen einander nur zu freigebig ſind. In dem Findlinge ahnete ſie nun, wie ſie ſagte, (und die Ahnung der Frauen iſt ſtäts ſicher und wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die ſie vor Schaam kaum hervorzubringen vermochte! Sie erklärte, daß ſie eine ſolche nur mit Abſcheu anzuſehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der Creatur unerträglich ſeyn werde. Sie beſchwor ihren Vater, das Kind einer öffentlichen An- ſtalt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb feſt bei ſeinem Vorſatze, und da die Mutter, wie ſchon berichtet worden iſt, auch auf ſeine Seite getreten war, ſo mußte ſich Emerentia endlich, wiewohl mit großem Widerwillen, fügen. Dieſen ließ ſie aber in der Folge auf jede Weiſe an dem Kinde aus, und ſelbſt, als die blon- de Eliſabeth, oder Lisbeth, wie ſie im Schloſſe ge- nannt wurde, heranwuchs, und das beſte, zuthätig- ſte Weſen wurde, mochte ſie ſich ſelten dazu ver- ſtehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth dagegen war durch nichts in den ſonderbaren Nei- gungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/143
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/143>, abgerufen am 18.05.2024.