Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Sitte der Spartaner, auch die Jungfrauen bei
den Festen der Götter nackt tanzen zu lassen, höch-
lich herausstrich. Ein Nervenanfall hatte sie nach
dieser Rede ergriffen und mehrere Wochen lang
unpäßlich gemacht. Er nahm sich daher auch später-
hin eine größere Vorsicht in seinen Lieblingsreden
zur Richtschnur, um den Boden, auf dem er seine
Freistatt gefunden hatte, nicht zu unterwühlen.
Anderntheils wurde es nach und nach der allge-
gemeine Grundsatz der drei Academiker von Schnick-
Schnack-Schnurr, eine zarte Schonung der gegenseiti-
gen Schooßneigungen walten zu lassen.

In diesen Verhältnissen lebten der alte Baron,
das Fräulein und der Schulmeister ihre seltsam-
abgeschiedenen Tage hin. Eines Abends sagte der
Schloßherr zu seinem Schützlinge: Ihr seid jetzt
weit ruhiger und gleichmüthiger, Herr Agesilaus,
als vor Zeiten, wo es Euch doch im Grunde
besser ging, als jetzunder. Damals konntet Ihr
Streckenlang sehr mürrisch und verdrießlich seyn.

Mürrisch und verdrießlich nun woh nicht, mein
Gönner, versetzte der Schulmeister, a er tiefsinnig
und melancholisch. Wenn ich so meine schmutzigen
Jungen in einem fort buchstabiren ließ, eine

Sitte der Spartaner, auch die Jungfrauen bei
den Feſten der Götter nackt tanzen zu laſſen, höch-
lich herausſtrich. Ein Nervenanfall hatte ſie nach
dieſer Rede ergriffen und mehrere Wochen lang
unpäßlich gemacht. Er nahm ſich daher auch ſpäter-
hin eine größere Vorſicht in ſeinen Lieblingsreden
zur Richtſchnur, um den Boden, auf dem er ſeine
Freiſtatt gefunden hatte, nicht zu unterwühlen.
Anderntheils wurde es nach und nach der allge-
gemeine Grundſatz der drei Academiker von Schnick-
Schnack-Schnurr, eine zarte Schonung der gegenſeiti-
gen Schooßneigungen walten zu laſſen.

In dieſen Verhältniſſen lebten der alte Baron,
das Fräulein und der Schulmeiſter ihre ſeltſam-
abgeſchiedenen Tage hin. Eines Abends ſagte der
Schloßherr zu ſeinem Schützlinge: Ihr ſeid jetzt
weit ruhiger und gleichmüthiger, Herr Ageſilaus,
als vor Zeiten, wo es Euch doch im Grunde
beſſer ging, als jetzunder. Damals konntet Ihr
Streckenlang ſehr mürriſch und verdrießlich ſeyn.

Mürriſch und verdrießlich nun woh nicht, mein
Gönner, verſetzte der Schulmeiſter, a er tiefſinnig
und melancholiſch. Wenn ich ſo meine ſchmutzigen
Jungen in einem fort buchſtabiren ließ, eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0168" n="160"/>
Sitte der Spartaner, auch die Jungfrauen bei<lb/>
den Fe&#x017F;ten der Götter nackt tanzen zu la&#x017F;&#x017F;en, höch-<lb/>
lich heraus&#x017F;trich. Ein Nervenanfall hatte &#x017F;ie nach<lb/>
die&#x017F;er Rede ergriffen und mehrere Wochen lang<lb/>
unpäßlich gemacht. Er nahm &#x017F;ich daher auch &#x017F;päter-<lb/>
hin eine größere Vor&#x017F;icht in &#x017F;einen Lieblingsreden<lb/>
zur Richt&#x017F;chnur, um den Boden, auf dem er &#x017F;eine<lb/>
Frei&#x017F;tatt gefunden hatte, nicht zu unterwühlen.<lb/>
Anderntheils wurde es nach und nach der allge-<lb/>
gemeine Grund&#x017F;atz der drei Academiker von Schnick-<lb/>
Schnack-Schnurr, eine zarte Schonung der gegen&#x017F;eiti-<lb/>
gen Schooßneigungen walten zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;en Verhältni&#x017F;&#x017F;en lebten der alte Baron,<lb/>
das Fräulein und der Schulmei&#x017F;ter ihre &#x017F;elt&#x017F;am-<lb/>
abge&#x017F;chiedenen Tage hin. Eines Abends &#x017F;agte der<lb/>
Schloßherr zu &#x017F;einem Schützlinge: Ihr &#x017F;eid jetzt<lb/>
weit ruhiger und gleichmüthiger, Herr Age&#x017F;ilaus,<lb/>
als vor Zeiten, wo es Euch doch im Grunde<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er ging, als jetzunder. Damals konntet Ihr<lb/>
Streckenlang &#x017F;ehr mürri&#x017F;ch und verdrießlich &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Mürri&#x017F;ch und verdrießlich nun woh nicht, mein<lb/>
Gönner, ver&#x017F;etzte der Schulmei&#x017F;ter, a er tief&#x017F;innig<lb/>
und melancholi&#x017F;ch. Wenn ich &#x017F;o meine &#x017F;chmutzigen<lb/>
Jungen in einem fort buch&#x017F;tabiren ließ, eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0168] Sitte der Spartaner, auch die Jungfrauen bei den Feſten der Götter nackt tanzen zu laſſen, höch- lich herausſtrich. Ein Nervenanfall hatte ſie nach dieſer Rede ergriffen und mehrere Wochen lang unpäßlich gemacht. Er nahm ſich daher auch ſpäter- hin eine größere Vorſicht in ſeinen Lieblingsreden zur Richtſchnur, um den Boden, auf dem er ſeine Freiſtatt gefunden hatte, nicht zu unterwühlen. Anderntheils wurde es nach und nach der allge- gemeine Grundſatz der drei Academiker von Schnick- Schnack-Schnurr, eine zarte Schonung der gegenſeiti- gen Schooßneigungen walten zu laſſen. In dieſen Verhältniſſen lebten der alte Baron, das Fräulein und der Schulmeiſter ihre ſeltſam- abgeſchiedenen Tage hin. Eines Abends ſagte der Schloßherr zu ſeinem Schützlinge: Ihr ſeid jetzt weit ruhiger und gleichmüthiger, Herr Ageſilaus, als vor Zeiten, wo es Euch doch im Grunde beſſer ging, als jetzunder. Damals konntet Ihr Streckenlang ſehr mürriſch und verdrießlich ſeyn. Mürriſch und verdrießlich nun woh nicht, mein Gönner, verſetzte der Schulmeiſter, a er tiefſinnig und melancholiſch. Wenn ich ſo meine ſchmutzigen Jungen in einem fort buchſtabiren ließ, eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/168
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/168>, abgerufen am 27.11.2024.