Zipfel zum Lesenlernen gebracht habe, dieser ver- schwinde, und an der andern Seite ein neues Fibelschützenwesen zu stammeln beginne. Aber seit ich meine Ahnen kenne, seit ich weiß, welche herr- liche Erinnerungen in mir sich fortsetzen, und durch mich lebendig zu erhalten sind, ist Alles in mir Ruhe und Freudigkeit, haben sich die Bestand- theile des Lebens im Kreise um mich her gestellt, kurz, bin ich zur Klarheit und zum Bewußtseyn durchgedrungen.
Sonderbar! rief der alte Baron vor sich hin, als der Schulmeister nach dieser Aeußerung fort- gegangen war. Wie es scheint, muß der Mensch immer einen Sparren haben, um recht zusammen- zuhalten. Die Vernunft ist wie reines Gold, zu weich, um Facon anzunehmen; es muß ein tüch- tig Stück Kupfer, so eine Portion Verrücktheit darunter gethan werden, dann ist dem Menschen erst wohl, dann macht er Figur und steht seinen Mann. Was für ein Gimpel war der Schul- meister sonst, und wie gescheidt spricht er jetzt, seitdem es bei ihm rappelt. Das Leben ist doch ein curioses Ding, und wäre ich nicht geborner Geheimer-Rath im höchsten Collegio, so könnte mir
Zipfel zum Leſenlernen gebracht habe, dieſer ver- ſchwinde, und an der andern Seite ein neues Fibelſchützenweſen zu ſtammeln beginne. Aber ſeit ich meine Ahnen kenne, ſeit ich weiß, welche herr- liche Erinnerungen in mir ſich fortſetzen, und durch mich lebendig zu erhalten ſind, iſt Alles in mir Ruhe und Freudigkeit, haben ſich die Beſtand- theile des Lebens im Kreiſe um mich her geſtellt, kurz, bin ich zur Klarheit und zum Bewußtſeyn durchgedrungen.
Sonderbar! rief der alte Baron vor ſich hin, als der Schulmeiſter nach dieſer Aeußerung fort- gegangen war. Wie es ſcheint, muß der Menſch immer einen Sparren haben, um recht zuſammen- zuhalten. Die Vernunft iſt wie reines Gold, zu weich, um Façon anzunehmen; es muß ein tüch- tig Stück Kupfer, ſo eine Portion Verrücktheit darunter gethan werden, dann iſt dem Menſchen erſt wohl, dann macht er Figur und ſteht ſeinen Mann. Was für ein Gimpel war der Schul- meiſter ſonſt, und wie geſcheidt ſpricht er jetzt, ſeitdem es bei ihm rappelt. Das Leben iſt doch ein curioſes Ding, und wäre ich nicht geborner Geheimer-Rath im höchſten Collegio, ſo könnte mir
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0170"n="162"/>
Zipfel zum Leſenlernen gebracht habe, dieſer ver-<lb/>ſchwinde, und an der andern Seite ein neues<lb/>
Fibelſchützenweſen zu ſtammeln beginne. Aber ſeit<lb/>
ich meine Ahnen kenne, ſeit ich weiß, welche herr-<lb/>
liche Erinnerungen in mir ſich fortſetzen, und durch<lb/>
mich lebendig zu erhalten ſind, iſt Alles in mir<lb/>
Ruhe und Freudigkeit, haben ſich die Beſtand-<lb/>
theile des Lebens im Kreiſe um mich her geſtellt,<lb/>
kurz, bin ich zur Klarheit und zum Bewußtſeyn<lb/>
durchgedrungen.</p><lb/><p>Sonderbar! rief der alte Baron vor ſich hin,<lb/>
als der Schulmeiſter nach dieſer Aeußerung fort-<lb/>
gegangen war. Wie es ſcheint, muß der Menſch<lb/>
immer einen Sparren haben, um recht zuſammen-<lb/>
zuhalten. Die Vernunft iſt wie reines Gold, zu<lb/>
weich, um Fa<hirendition="#aq">ç</hi>on anzunehmen; es muß ein tüch-<lb/>
tig Stück Kupfer, ſo eine Portion Verrücktheit<lb/>
darunter gethan werden, dann iſt dem Menſchen<lb/>
erſt wohl, dann macht er Figur und ſteht ſeinen<lb/>
Mann. Was für ein Gimpel war der Schul-<lb/>
meiſter ſonſt, und wie geſcheidt ſpricht er jetzt,<lb/>ſeitdem es bei ihm rappelt. Das Leben iſt doch<lb/>
ein curioſes Ding, und wäre ich nicht geborner<lb/>
Geheimer-Rath im höchſten Collegio, ſo könnte mir<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[162/0170]
Zipfel zum Leſenlernen gebracht habe, dieſer ver-
ſchwinde, und an der andern Seite ein neues
Fibelſchützenweſen zu ſtammeln beginne. Aber ſeit
ich meine Ahnen kenne, ſeit ich weiß, welche herr-
liche Erinnerungen in mir ſich fortſetzen, und durch
mich lebendig zu erhalten ſind, iſt Alles in mir
Ruhe und Freudigkeit, haben ſich die Beſtand-
theile des Lebens im Kreiſe um mich her geſtellt,
kurz, bin ich zur Klarheit und zum Bewußtſeyn
durchgedrungen.
Sonderbar! rief der alte Baron vor ſich hin,
als der Schulmeiſter nach dieſer Aeußerung fort-
gegangen war. Wie es ſcheint, muß der Menſch
immer einen Sparren haben, um recht zuſammen-
zuhalten. Die Vernunft iſt wie reines Gold, zu
weich, um Façon anzunehmen; es muß ein tüch-
tig Stück Kupfer, ſo eine Portion Verrücktheit
darunter gethan werden, dann iſt dem Menſchen
erſt wohl, dann macht er Figur und ſteht ſeinen
Mann. Was für ein Gimpel war der Schul-
meiſter ſonſt, und wie geſcheidt ſpricht er jetzt,
ſeitdem es bei ihm rappelt. Das Leben iſt doch
ein curioſes Ding, und wäre ich nicht geborner
Geheimer-Rath im höchſten Collegio, ſo könnte mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/170>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.