Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

alten Jochem verstreichen konnten. Da er sein
Herz auf der Zunge trug, so ging er auf der
Stelle zu dem Hofschulzen, der im Eichenkampe
ein Paar Bäume zum Fällen anschlug, und sprach
sein Begehr aus. Er erbot sich dagegen zu Allem,
worin er seinem Wirthe nützlich werden könne.

Die Schönheit ist eine gar gute Mitgift. Sie
ist ein Schlüssel, der wie jener kleine goldne, sie-
ben Schlösser, von denen keins dem Andern ähnlich
sah, zauberisch öffnet. Ein Paß ist sie, auf den
der Träger, ohne daß in den Nachtquartieren Visa's
genommen zu werden brauchen, frei durch alle
Welt geht; in Romanen und Novellen spannt sich
die Schönheit über alle Klüfte und Abgründe der
Unwahrscheinlichkeit hinweg, wie die siebenfarbige
Brücke der Iris.

Wäre der Jäger nicht so schön gewesen, was
für weitläuftige Motive hätte ich ersinnen und
erspinnen müssen, um den Hofschulzen zur Gewäh-
rung des Quartiers an ihn willig zu machen! So
jedoch brauche ich nur zu sagen, daß der Alte die
schlanke und doch kräftige Gestalt, das ehrliche und
dabei vornehmprächtige Antlitz des Jünglings eine
Zeit lang betrachtete, erst zwar nachhaltig den Kopf

alten Jochem verſtreichen konnten. Da er ſein
Herz auf der Zunge trug, ſo ging er auf der
Stelle zu dem Hofſchulzen, der im Eichenkampe
ein Paar Bäume zum Fällen anſchlug, und ſprach
ſein Begehr aus. Er erbot ſich dagegen zu Allem,
worin er ſeinem Wirthe nützlich werden könne.

Die Schönheit iſt eine gar gute Mitgift. Sie
iſt ein Schlüſſel, der wie jener kleine goldne, ſie-
ben Schlöſſer, von denen keins dem Andern ähnlich
ſah, zauberiſch öffnet. Ein Paß iſt ſie, auf den
der Träger, ohne daß in den Nachtquartieren Viſa’s
genommen zu werden brauchen, frei durch alle
Welt geht; in Romanen und Novellen ſpannt ſich
die Schönheit über alle Klüfte und Abgründe der
Unwahrſcheinlichkeit hinweg, wie die ſiebenfarbige
Brücke der Iris.

Wäre der Jäger nicht ſo ſchön geweſen, was
für weitläuftige Motive hätte ich erſinnen und
erſpinnen müſſen, um den Hofſchulzen zur Gewäh-
rung des Quartiers an ihn willig zu machen! So
jedoch brauche ich nur zu ſagen, daß der Alte die
ſchlanke und doch kräftige Geſtalt, das ehrliche und
dabei vornehmprächtige Antlitz des Jünglings eine
Zeit lang betrachtete, erſt zwar nachhaltig den Kopf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0317" n="309"/>
alten Jochem ver&#x017F;treichen konnten. Da er &#x017F;ein<lb/>
Herz auf der Zunge trug, &#x017F;o ging er auf der<lb/>
Stelle zu dem Hof&#x017F;chulzen, der im Eichenkampe<lb/>
ein Paar Bäume zum Fällen an&#x017F;chlug, und &#x017F;prach<lb/>
&#x017F;ein Begehr aus. Er erbot &#x017F;ich dagegen zu Allem,<lb/>
worin er &#x017F;einem Wirthe nützlich werden könne.</p><lb/>
          <p>Die Schönheit i&#x017F;t eine gar gute Mitgift. Sie<lb/>
i&#x017F;t ein Schlü&#x017F;&#x017F;el, der wie jener kleine goldne, &#x017F;ie-<lb/>
ben Schlö&#x017F;&#x017F;er, von denen keins dem Andern ähnlich<lb/>
&#x017F;ah, zauberi&#x017F;ch öffnet. Ein Paß i&#x017F;t &#x017F;ie, auf den<lb/>
der Träger, ohne daß in den Nachtquartieren Vi&#x017F;a&#x2019;s<lb/>
genommen zu werden brauchen, frei durch alle<lb/>
Welt geht; in Romanen und Novellen &#x017F;pannt &#x017F;ich<lb/>
die Schönheit über alle Klüfte und Abgründe der<lb/>
Unwahr&#x017F;cheinlichkeit hinweg, wie die &#x017F;iebenfarbige<lb/>
Brücke der Iris.</p><lb/>
          <p>Wäre der Jäger nicht &#x017F;o &#x017F;chön gewe&#x017F;en, was<lb/>
für weitläuftige Motive hätte ich er&#x017F;innen und<lb/>
er&#x017F;pinnen mü&#x017F;&#x017F;en, um den Hof&#x017F;chulzen zur Gewäh-<lb/>
rung des Quartiers an ihn willig zu machen! So<lb/>
jedoch brauche ich nur zu &#x017F;agen, daß der Alte die<lb/>
&#x017F;chlanke und doch kräftige Ge&#x017F;talt, das ehrliche und<lb/>
dabei vornehmprächtige Antlitz des Jünglings eine<lb/>
Zeit lang betrachtete, er&#x017F;t zwar nachhaltig den Kopf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0317] alten Jochem verſtreichen konnten. Da er ſein Herz auf der Zunge trug, ſo ging er auf der Stelle zu dem Hofſchulzen, der im Eichenkampe ein Paar Bäume zum Fällen anſchlug, und ſprach ſein Begehr aus. Er erbot ſich dagegen zu Allem, worin er ſeinem Wirthe nützlich werden könne. Die Schönheit iſt eine gar gute Mitgift. Sie iſt ein Schlüſſel, der wie jener kleine goldne, ſie- ben Schlöſſer, von denen keins dem Andern ähnlich ſah, zauberiſch öffnet. Ein Paß iſt ſie, auf den der Träger, ohne daß in den Nachtquartieren Viſa’s genommen zu werden brauchen, frei durch alle Welt geht; in Romanen und Novellen ſpannt ſich die Schönheit über alle Klüfte und Abgründe der Unwahrſcheinlichkeit hinweg, wie die ſiebenfarbige Brücke der Iris. Wäre der Jäger nicht ſo ſchön geweſen, was für weitläuftige Motive hätte ich erſinnen und erſpinnen müſſen, um den Hofſchulzen zur Gewäh- rung des Quartiers an ihn willig zu machen! So jedoch brauche ich nur zu ſagen, daß der Alte die ſchlanke und doch kräftige Geſtalt, das ehrliche und dabei vornehmprächtige Antlitz des Jünglings eine Zeit lang betrachtete, erſt zwar nachhaltig den Kopf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/317
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/317>, abgerufen am 21.11.2024.