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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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dieser geistreiche Satiricus, Lügenhans und humo-
ristisch-complicirte Allerwelts-Haselant ist der Zeit-
geist in persona; nicht der Geist der Zeit, oder
richtiger gesagt; der Ewigkeit, der in stillen Klüf-
ten tief unten sein geheimes Werk treibt, sondern
der bunte Pickelhäring, den der schlaue Alte unter die
unruhige Menge emporgeschickt hat, auf daß sie, abge-
zogen durch Fastnachtspossen und Sycophanten-Decla-
mation von ihm und seiner unergründlichen Arbeit,
nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei-
stes Zugucken und Zupatschen störe. Denn zweier-
lei war das Merkwürdigste an dem Vagabunden:
Erstens, er trug nicht reine Mährchenpoesie vor,
sondern die grotesken Erfindungen und Gestalten
wurden von ihm mit solcher Ruhe, Ueberzeugung
und Ernsthaftigkeit hingestellt, sie saßen ihm so in
Fell und Fleisch fest, daß man in währender Er-
zählung zu keinem dichterischen Behagen gelangte,
man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder
an seinen Sachen, wie unsinnig sich das ausnahm,
auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er
auch meistens in seinen milesischen Fabeln die Tho-
ren und Schächer der Zeit durchnahm, so fühlte
man bald -- wenigstens ich hatte die Empfindung

dieſer geiſtreiche Satiricus, Lügenhans und humo-
riſtiſch-complicirte Allerwelts-Haſelant iſt der Zeit-
geiſt in persona; nicht der Geiſt der Zeit, oder
richtiger geſagt; der Ewigkeit, der in ſtillen Klüf-
ten tief unten ſein geheimes Werk treibt, ſondern
der bunte Pickelhäring, den der ſchlaue Alte unter die
unruhige Menge emporgeſchickt hat, auf daß ſie, abge-
zogen durch Faſtnachtspoſſen und Sycophanten-Decla-
mation von ihm und ſeiner unergründlichen Arbeit,
nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei-
ſtes Zugucken und Zupatſchen ſtöre. Denn zweier-
lei war das Merkwürdigſte an dem Vagabunden:
Erſtens, er trug nicht reine Mährchenpoeſie vor,
ſondern die grotesken Erfindungen und Geſtalten
wurden von ihm mit ſolcher Ruhe, Ueberzeugung
und Ernſthaftigkeit hingeſtellt, ſie ſaßen ihm ſo in
Fell und Fleiſch feſt, daß man in währender Er-
zählung zu keinem dichteriſchen Behagen gelangte,
man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder
an ſeinen Sachen, wie unſinnig ſich das ausnahm,
auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er
auch meiſtens in ſeinen mileſiſchen Fabeln die Tho-
ren und Schächer der Zeit durchnahm, ſo fühlte
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[335/0343] dieſer geiſtreiche Satiricus, Lügenhans und humo- riſtiſch-complicirte Allerwelts-Haſelant iſt der Zeit- geiſt in persona; nicht der Geiſt der Zeit, oder richtiger geſagt; der Ewigkeit, der in ſtillen Klüf- ten tief unten ſein geheimes Werk treibt, ſondern der bunte Pickelhäring, den der ſchlaue Alte unter die unruhige Menge emporgeſchickt hat, auf daß ſie, abge- zogen durch Faſtnachtspoſſen und Sycophanten-Decla- mation von ihm und ſeiner unergründlichen Arbeit, nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei- ſtes Zugucken und Zupatſchen ſtöre. Denn zweier- lei war das Merkwürdigſte an dem Vagabunden: Erſtens, er trug nicht reine Mährchenpoeſie vor, ſondern die grotesken Erfindungen und Geſtalten wurden von ihm mit ſolcher Ruhe, Ueberzeugung und Ernſthaftigkeit hingeſtellt, ſie ſaßen ihm ſo in Fell und Fleiſch feſt, daß man in währender Er- zählung zu keinem dichteriſchen Behagen gelangte, man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder an ſeinen Sachen, wie unſinnig ſich das ausnahm, auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er auch meiſtens in ſeinen mileſiſchen Fabeln die Tho- ren und Schächer der Zeit durchnahm, ſo fühlte man bald — wenigſtens ich hatte die Empfindung

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/343>, abgerufen am 22.11.2024.