Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

schäferlich-zarten, als die knolligen Kartoffelpoeten.
Sie ist eine Sphäre, so mit derber Natur, wie
mit Sitte und Ceremonie ausgefüllt, und gar
nicht ohne Anmuth und Zierlichkeit, nur liegt letz-
tere wo anders, als wo sie in der Regel gesucht
wird. Ist der Bursch aus Unenthaltsamkeit vor
der Zeit in sein Recht getreten? Gewiß nicht.
Es ist so Herkommen, lieblicher, lustiger Brauch,
und sein Mädchen würde sich vielleicht für verach-
tet halten, wenn er ihn nicht mitmachte.

Droben auf dem Hügel am Freistuhl ward
ihm sehr wohl. Das Korn wiegte säuselnd die
Aehren, schwer von Segen, des Vollmondes große
glührothe Scheibe stieg am Ostrande des Himmels
auf und noch wirkte der Wiederschein der in Westen
abgeschiedenen Sonne. Die Atmosphäre war so
rein, daß dieser Wiederschein gelbgrün glänzte. -- Er
empfand seine Jugend, seine Gesundheit, seine
Hoffnungen. Hinter einen großen Baum am
Waldrande stellte er sich; heute will ich doch
erproben, sagte er, ob das Geschick nicht zu beugen
ist. Ich schieße nur, wenn mir etwas bis auf drei
Schritte vor dem Rohre nahe kommt, und da müßte
es ja mit Zauberei zugehen, wenn ich fehlen sollte.


ſchäferlich-zarten, als die knolligen Kartoffelpoeten.
Sie iſt eine Sphäre, ſo mit derber Natur, wie
mit Sitte und Ceremonie ausgefüllt, und gar
nicht ohne Anmuth und Zierlichkeit, nur liegt letz-
tere wo anders, als wo ſie in der Regel geſucht
wird. Iſt der Burſch aus Unenthaltſamkeit vor
der Zeit in ſein Recht getreten? Gewiß nicht.
Es iſt ſo Herkommen, lieblicher, luſtiger Brauch,
und ſein Mädchen würde ſich vielleicht für verach-
tet halten, wenn er ihn nicht mitmachte.

Droben auf dem Hügel am Freiſtuhl ward
ihm ſehr wohl. Das Korn wiegte ſäuſelnd die
Aehren, ſchwer von Segen, des Vollmondes große
glührothe Scheibe ſtieg am Oſtrande des Himmels
auf und noch wirkte der Wiederſchein der in Weſten
abgeſchiedenen Sonne. Die Atmoſphäre war ſo
rein, daß dieſer Wiederſchein gelbgrün glänzte. — Er
empfand ſeine Jugend, ſeine Geſundheit, ſeine
Hoffnungen. Hinter einen großen Baum am
Waldrande ſtellte er ſich; heute will ich doch
erproben, ſagte er, ob das Geſchick nicht zu beugen
iſt. Ich ſchieße nur, wenn mir etwas bis auf drei
Schritte vor dem Rohre nahe kommt, und da müßte
es ja mit Zauberei zugehen, wenn ich fehlen ſollte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0461" n="453"/>
&#x017F;chäferlich-zarten, als die knolligen Kartoffelpoeten.<lb/>
Sie i&#x017F;t eine Sphäre, &#x017F;o mit derber Natur, wie<lb/>
mit Sitte und Ceremonie ausgefüllt, und gar<lb/>
nicht ohne Anmuth und Zierlichkeit, nur liegt letz-<lb/>
tere wo anders, als wo &#x017F;ie in der Regel ge&#x017F;ucht<lb/>
wird. I&#x017F;t der Bur&#x017F;ch aus Unenthalt&#x017F;amkeit vor<lb/>
der Zeit in &#x017F;ein Recht getreten? Gewiß nicht.<lb/>
Es i&#x017F;t &#x017F;o Herkommen, lieblicher, lu&#x017F;tiger Brauch,<lb/>
und &#x017F;ein Mädchen würde &#x017F;ich vielleicht für verach-<lb/>
tet halten, wenn er ihn nicht mitmachte.</p><lb/>
          <p>Droben auf dem Hügel am Frei&#x017F;tuhl ward<lb/>
ihm &#x017F;ehr wohl. Das Korn wiegte &#x017F;äu&#x017F;elnd die<lb/>
Aehren, &#x017F;chwer von Segen, des Vollmondes große<lb/>
glührothe Scheibe &#x017F;tieg am O&#x017F;trande des Himmels<lb/>
auf und noch wirkte der Wieder&#x017F;chein der in We&#x017F;ten<lb/>
abge&#x017F;chiedenen Sonne. Die Atmo&#x017F;phäre war &#x017F;o<lb/>
rein, daß die&#x017F;er Wieder&#x017F;chein gelbgrün glänzte. &#x2014; Er<lb/>
empfand &#x017F;eine Jugend, &#x017F;eine Ge&#x017F;undheit, &#x017F;eine<lb/>
Hoffnungen. Hinter einen großen Baum am<lb/>
Waldrande &#x017F;tellte er &#x017F;ich; heute will ich doch<lb/>
erproben, &#x017F;agte er, ob das Ge&#x017F;chick nicht zu beugen<lb/>
i&#x017F;t. Ich &#x017F;chieße nur, wenn mir etwas bis auf drei<lb/>
Schritte vor dem Rohre nahe kommt, und da müßte<lb/>
es ja mit Zauberei zugehen, wenn ich fehlen &#x017F;ollte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0461] ſchäferlich-zarten, als die knolligen Kartoffelpoeten. Sie iſt eine Sphäre, ſo mit derber Natur, wie mit Sitte und Ceremonie ausgefüllt, und gar nicht ohne Anmuth und Zierlichkeit, nur liegt letz- tere wo anders, als wo ſie in der Regel geſucht wird. Iſt der Burſch aus Unenthaltſamkeit vor der Zeit in ſein Recht getreten? Gewiß nicht. Es iſt ſo Herkommen, lieblicher, luſtiger Brauch, und ſein Mädchen würde ſich vielleicht für verach- tet halten, wenn er ihn nicht mitmachte. Droben auf dem Hügel am Freiſtuhl ward ihm ſehr wohl. Das Korn wiegte ſäuſelnd die Aehren, ſchwer von Segen, des Vollmondes große glührothe Scheibe ſtieg am Oſtrande des Himmels auf und noch wirkte der Wiederſchein der in Weſten abgeſchiedenen Sonne. Die Atmoſphäre war ſo rein, daß dieſer Wiederſchein gelbgrün glänzte. — Er empfand ſeine Jugend, ſeine Geſundheit, ſeine Hoffnungen. Hinter einen großen Baum am Waldrande ſtellte er ſich; heute will ich doch erproben, ſagte er, ob das Geſchick nicht zu beugen iſt. Ich ſchieße nur, wenn mir etwas bis auf drei Schritte vor dem Rohre nahe kommt, und da müßte es ja mit Zauberei zugehen, wenn ich fehlen ſollte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/461
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/461>, abgerufen am 17.05.2024.