Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Isidor Hirsewenzel von Olgendorf hätte für
Deutschland ein Lederhändler werden können, wie
wir ihn noch nicht besessen haben. Möglich, daß
in der Tiefe seiner Seele Gedanken schlummerten,
wodurch der Dampf vom Throne des neunzehnten
Jahrhunderts gestoßen, und die gegerbte Haut
zur Weltbeherrscherin erhoben worden wäre! Aber
der Vater verstand den Sohn nicht. Er verstand
nicht die zukunftschwangern Regungen des Geistes,
der über Bälgen, über Alaun und Lohbereitung,
über Sämisch- und Kalkgerberei erfindungengebä-
rend brütete. Du bist ein Narr, Dorus, sagte
der harte Vater zu ihm, Leder kann aus der Mode
kommen, die Menschenliebe ist so hoch gestiegen,
daß sie sich unversehens auf das Vieh werfen kann;
woher aber soll Leder kommen, wenn jeder Hund
und Ochs unser Bruder, jedes Schaf unsre Schwe-
ster wird, und wir des verwandtschaftlichen Lebens
schonen? Du also wirst das werden, mein Sohn,
wozu ich dich bestimmt habe.

Isidor weinte, verzweifelte, aber seine Thränen
und Seufzer verfingen gegen den eisenfesten Vater
nichts; Isidor mußte Perückenmacher werden. Das
heißt: Vor der Welt wurde er simpler Friseur

Iſidor Hirſewenzel von Olgendorf hätte für
Deutſchland ein Lederhändler werden können, wie
wir ihn noch nicht beſeſſen haben. Möglich, daß
in der Tiefe ſeiner Seele Gedanken ſchlummerten,
wodurch der Dampf vom Throne des neunzehnten
Jahrhunderts geſtoßen, und die gegerbte Haut
zur Weltbeherrſcherin erhoben worden wäre! Aber
der Vater verſtand den Sohn nicht. Er verſtand
nicht die zukunftſchwangern Regungen des Geiſtes,
der über Bälgen, über Alaun und Lohbereitung,
über Sämiſch- und Kalkgerberei erfindungengebä-
rend brütete. Du biſt ein Narr, Dorus, ſagte
der harte Vater zu ihm, Leder kann aus der Mode
kommen, die Menſchenliebe iſt ſo hoch geſtiegen,
daß ſie ſich unverſehens auf das Vieh werfen kann;
woher aber ſoll Leder kommen, wenn jeder Hund
und Ochs unſer Bruder, jedes Schaf unſre Schwe-
ſter wird, und wir des verwandtſchaftlichen Lebens
ſchonen? Du alſo wirſt das werden, mein Sohn,
wozu ich dich beſtimmt habe.

Iſidor weinte, verzweifelte, aber ſeine Thränen
und Seufzer verfingen gegen den eiſenfeſten Vater
nichts; Iſidor mußte Perückenmacher werden. Das
heißt: Vor der Welt wurde er ſimpler Friſeur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0054" n="46"/>
          <p>I&#x017F;idor Hir&#x017F;ewenzel von Olgendorf hätte für<lb/>
Deut&#x017F;chland ein Lederhändler werden können, wie<lb/>
wir ihn noch nicht be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en haben. Möglich, daß<lb/>
in der Tiefe &#x017F;einer Seele Gedanken &#x017F;chlummerten,<lb/>
wodurch der Dampf vom Throne des neunzehnten<lb/>
Jahrhunderts ge&#x017F;toßen, und die gegerbte Haut<lb/>
zur Weltbeherr&#x017F;cherin erhoben worden wäre! Aber<lb/>
der Vater ver&#x017F;tand den Sohn nicht. Er ver&#x017F;tand<lb/>
nicht die zukunft&#x017F;chwangern Regungen des Gei&#x017F;tes,<lb/>
der über Bälgen, über Alaun und Lohbereitung,<lb/>
über Sämi&#x017F;ch- und Kalkgerberei erfindungengebä-<lb/>
rend brütete. Du bi&#x017F;t ein Narr, Dorus, &#x017F;agte<lb/>
der harte Vater zu ihm, Leder kann aus der Mode<lb/>
kommen, die Men&#x017F;chenliebe i&#x017F;t &#x017F;o hoch ge&#x017F;tiegen,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich unver&#x017F;ehens auf das Vieh werfen kann;<lb/>
woher aber &#x017F;oll Leder kommen, wenn jeder Hund<lb/>
und Ochs un&#x017F;er Bruder, jedes Schaf un&#x017F;re Schwe-<lb/>
&#x017F;ter wird, und wir des verwandt&#x017F;chaftlichen Lebens<lb/>
&#x017F;chonen? Du al&#x017F;o wir&#x017F;t das werden, mein Sohn,<lb/>
wozu ich dich be&#x017F;timmt habe.</p><lb/>
          <p>I&#x017F;idor weinte, verzweifelte, aber &#x017F;eine Thränen<lb/>
und Seufzer verfingen gegen den ei&#x017F;enfe&#x017F;ten Vater<lb/>
nichts; I&#x017F;idor mußte Perückenmacher werden. Das<lb/>
heißt: Vor der Welt wurde er &#x017F;impler Fri&#x017F;eur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0054] Iſidor Hirſewenzel von Olgendorf hätte für Deutſchland ein Lederhändler werden können, wie wir ihn noch nicht beſeſſen haben. Möglich, daß in der Tiefe ſeiner Seele Gedanken ſchlummerten, wodurch der Dampf vom Throne des neunzehnten Jahrhunderts geſtoßen, und die gegerbte Haut zur Weltbeherrſcherin erhoben worden wäre! Aber der Vater verſtand den Sohn nicht. Er verſtand nicht die zukunftſchwangern Regungen des Geiſtes, der über Bälgen, über Alaun und Lohbereitung, über Sämiſch- und Kalkgerberei erfindungengebä- rend brütete. Du biſt ein Narr, Dorus, ſagte der harte Vater zu ihm, Leder kann aus der Mode kommen, die Menſchenliebe iſt ſo hoch geſtiegen, daß ſie ſich unverſehens auf das Vieh werfen kann; woher aber ſoll Leder kommen, wenn jeder Hund und Ochs unſer Bruder, jedes Schaf unſre Schwe- ſter wird, und wir des verwandtſchaftlichen Lebens ſchonen? Du alſo wirſt das werden, mein Sohn, wozu ich dich beſtimmt habe. Iſidor weinte, verzweifelte, aber ſeine Thränen und Seufzer verfingen gegen den eiſenfeſten Vater nichts; Iſidor mußte Perückenmacher werden. Das heißt: Vor der Welt wurde er ſimpler Friſeur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/54
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/54>, abgerufen am 27.11.2024.