Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

einem Worte: Ich will Ich seyn, und nur mir
selber gleich!

Wie Isidor Wort gehalten hat, das wissen die
blasirten Hofräthe, Justizräthe, Geheimen-Secre-
tarien und Papierjuden von Sand-Jerusalem, aus
welchen gegenwärtig das dortige Theaterpublicum
allein noch besteht. Kein Mädchen schleicht sich
mit einem Bande seiner dramatischen Werke "ernster
oder komischer Gattung" (ich weiß nicht, warum
er den bezeichnenden Ausdruck: Sorte, verschmäht
hat?) frühmorgens oder gegen Abend in die duf-
tende Fliederlaube hinten im Garten, wo das
gelbe Nasturtium blüht, und der Convolvulus auf
seinen Ranken den Falter wiegt und den goldgrün-
glänzenden Käfer, und lies't sich an seinen Sachen
heimlich-glühend in die Bekanntschaft mit ihrem
pochenden Herzchen hinein; kein Student, der dro-
ben auf dem Weinberge am Flusse von seinem
Jugendbruder Abschied nimmt, und mit ihm das
Stammbuchblatt wechselt, schreibt einen Vers von
Isidor hinein, keinen Künstler haben seine sogenann-
ten Gestalten zu einem Bilde entzündet. Wer um
sechs Uhr Abends noch eine Spur von Stimmung
in seiner Seele fühlt, ja, wer auch nur die Aus-

einem Worte: Ich will Ich ſeyn, und nur mir
ſelber gleich!

Wie Iſidor Wort gehalten hat, das wiſſen die
blaſirten Hofräthe, Juſtizräthe, Geheimen-Secre-
tarien und Papierjuden von Sand-Jeruſalem, aus
welchen gegenwärtig das dortige Theaterpublicum
allein noch beſteht. Kein Mädchen ſchleicht ſich
mit einem Bande ſeiner dramatiſchen Werke „ernſter
oder komiſcher Gattung“ (ich weiß nicht, warum
er den bezeichnenden Ausdruck: Sorte, verſchmäht
hat?) frühmorgens oder gegen Abend in die duf-
tende Fliederlaube hinten im Garten, wo das
gelbe Naſturtium blüht, und der Convolvulus auf
ſeinen Ranken den Falter wiegt und den goldgrün-
glänzenden Käfer, und lieſ’t ſich an ſeinen Sachen
heimlich-glühend in die Bekanntſchaft mit ihrem
pochenden Herzchen hinein; kein Student, der dro-
ben auf dem Weinberge am Fluſſe von ſeinem
Jugendbruder Abſchied nimmt, und mit ihm das
Stammbuchblatt wechſelt, ſchreibt einen Vers von
Iſidor hinein, keinen Künſtler haben ſeine ſogenann-
ten Geſtalten zu einem Bilde entzündet. Wer um
ſechs Uhr Abends noch eine Spur von Stimmung
in ſeiner Seele fühlt, ja, wer auch nur die Aus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="54"/><hi rendition="#g">einem</hi> Worte: Ich will Ich &#x017F;eyn, und nur mir<lb/>
&#x017F;elber gleich!</p><lb/>
          <p>Wie I&#x017F;idor Wort gehalten hat, das wi&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
bla&#x017F;irten Hofräthe, Ju&#x017F;tizräthe, Geheimen-Secre-<lb/>
tarien und Papierjuden von Sand-Jeru&#x017F;alem, aus<lb/>
welchen gegenwärtig das dortige Theaterpublicum<lb/>
allein noch be&#x017F;teht. Kein Mädchen &#x017F;chleicht &#x017F;ich<lb/>
mit einem Bande &#x017F;einer dramati&#x017F;chen Werke &#x201E;ern&#x017F;ter<lb/>
oder komi&#x017F;cher Gattung&#x201C; (ich weiß nicht, warum<lb/>
er den bezeichnenden Ausdruck: Sorte, ver&#x017F;chmäht<lb/>
hat?) frühmorgens oder gegen Abend in die duf-<lb/>
tende Fliederlaube hinten im Garten, wo das<lb/>
gelbe Na&#x017F;turtium blüht, und der Convolvulus auf<lb/>
&#x017F;einen Ranken den Falter wiegt und den goldgrün-<lb/>
glänzenden Käfer, und lie&#x017F;&#x2019;t &#x017F;ich an &#x017F;einen Sachen<lb/>
heimlich-glühend in die Bekannt&#x017F;chaft mit ihrem<lb/>
pochenden Herzchen hinein; kein Student, der dro-<lb/>
ben auf dem Weinberge am Flu&#x017F;&#x017F;e von &#x017F;einem<lb/>
Jugendbruder Ab&#x017F;chied nimmt, und mit ihm das<lb/>
Stammbuchblatt wech&#x017F;elt, &#x017F;chreibt einen Vers von<lb/>
I&#x017F;idor hinein, keinen Kün&#x017F;tler haben &#x017F;eine &#x017F;ogenann-<lb/>
ten Ge&#x017F;talten zu einem Bilde entzündet. Wer um<lb/>
&#x017F;echs Uhr Abends noch eine Spur von Stimmung<lb/>
in &#x017F;einer Seele fühlt, ja, wer auch nur die Aus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0062] einem Worte: Ich will Ich ſeyn, und nur mir ſelber gleich! Wie Iſidor Wort gehalten hat, das wiſſen die blaſirten Hofräthe, Juſtizräthe, Geheimen-Secre- tarien und Papierjuden von Sand-Jeruſalem, aus welchen gegenwärtig das dortige Theaterpublicum allein noch beſteht. Kein Mädchen ſchleicht ſich mit einem Bande ſeiner dramatiſchen Werke „ernſter oder komiſcher Gattung“ (ich weiß nicht, warum er den bezeichnenden Ausdruck: Sorte, verſchmäht hat?) frühmorgens oder gegen Abend in die duf- tende Fliederlaube hinten im Garten, wo das gelbe Naſturtium blüht, und der Convolvulus auf ſeinen Ranken den Falter wiegt und den goldgrün- glänzenden Käfer, und lieſ’t ſich an ſeinen Sachen heimlich-glühend in die Bekanntſchaft mit ihrem pochenden Herzchen hinein; kein Student, der dro- ben auf dem Weinberge am Fluſſe von ſeinem Jugendbruder Abſchied nimmt, und mit ihm das Stammbuchblatt wechſelt, ſchreibt einen Vers von Iſidor hinein, keinen Künſtler haben ſeine ſogenann- ten Geſtalten zu einem Bilde entzündet. Wer um ſechs Uhr Abends noch eine Spur von Stimmung in ſeiner Seele fühlt, ja, wer auch nur die Aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/62
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/62>, abgerufen am 19.05.2024.