für die schöne Natur beizubringen, überlegte nur nicht, daß ich in der linken Rocktasche von der schönen Natur wenig zu sehen bekam und ihm daher in meiner Finsterniß auf das Wort glauben mußte, wenn er stillstehend, oder zwischen seinen Beinen durchguckend, in welcher Positur die Land- schaft immer am reizendsten aussieht, von der gött- lichen Aussicht, von der blauen duftigen Ferne und dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut schwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigstens in einen seiner Stiefeln stecken, wie die Samojeden ihre Kinder bei sich führen -- er trug weite Schlapp- stiefeln mit seidenen Troddeln vorn -- jedoch ver- gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner- träglich und ich weinte oft die linke Rocktasche ganz naß.
Eines Tages saß mein Vater mit dem Rücken gegen einen Oelbaum gelehnt, sah die Sonne untergehen und war außer sich über ihren purpurnen Widerschein im Meerbusen von Thessalonich. Sonst pflegte er bei allem Enthusiasmus die Hände in der Tasche zu halten, so daß kein Entrinnen ge-
8*
für die ſchöne Natur beizubringen, überlegte nur nicht, daß ich in der linken Rocktaſche von der ſchönen Natur wenig zu ſehen bekam und ihm daher in meiner Finſterniß auf das Wort glauben mußte, wenn er ſtillſtehend, oder zwiſchen ſeinen Beinen durchguckend, in welcher Poſitur die Land- ſchaft immer am reizendſten ausſieht, von der gött- lichen Ausſicht, von der blauen duftigen Ferne und dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut ſchwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigſtens in einen ſeiner Stiefeln ſtecken, wie die Samojeden ihre Kinder bei ſich führen — er trug weite Schlapp- ſtiefeln mit ſeidenen Troddeln vorn — jedoch ver- gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner- träglich und ich weinte oft die linke Rocktaſche ganz naß.
Eines Tages ſaß mein Vater mit dem Rücken gegen einen Oelbaum gelehnt, ſah die Sonne untergehen und war außer ſich über ihren purpurnen Widerſchein im Meerbuſen von Theſſalonich. Sonſt pflegte er bei allem Enthuſiasmus die Hände in der Taſche zu halten, ſo daß kein Entrinnen ge-
8*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0133"n="115"/>
für die ſchöne Natur beizubringen, überlegte nur<lb/>
nicht, daß ich in der linken Rocktaſche von der<lb/>ſchönen Natur wenig zu ſehen bekam und ihm<lb/>
daher in meiner Finſterniß auf das Wort glauben<lb/>
mußte, wenn er ſtillſtehend, oder zwiſchen ſeinen<lb/>
Beinen durchguckend, in welcher Poſitur die Land-<lb/>ſchaft immer am reizendſten ausſieht, von der gött-<lb/>
lichen Ausſicht, von der blauen duftigen Ferne und<lb/>
dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut<lb/>ſchwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich<lb/>
bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigſtens<lb/>
in einen ſeiner Stiefeln ſtecken, wie die Samojeden<lb/>
ihre Kinder bei ſich führen — er trug weite Schlapp-<lb/>ſtiefeln mit ſeidenen Troddeln vorn — jedoch ver-<lb/>
gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich<lb/>
zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner-<lb/>
träglich und ich weinte oft die linke Rocktaſche<lb/>
ganz naß.</p><lb/><p>Eines Tages ſaß mein Vater mit dem Rücken<lb/>
gegen einen Oelbaum gelehnt, ſah die Sonne<lb/>
untergehen und war außer ſich über ihren purpurnen<lb/>
Widerſchein im Meerbuſen von Theſſalonich. Sonſt<lb/>
pflegte er bei allem Enthuſiasmus die Hände in<lb/>
der Taſche zu halten, ſo daß kein Entrinnen ge-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">8*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[115/0133]
für die ſchöne Natur beizubringen, überlegte nur
nicht, daß ich in der linken Rocktaſche von der
ſchönen Natur wenig zu ſehen bekam und ihm
daher in meiner Finſterniß auf das Wort glauben
mußte, wenn er ſtillſtehend, oder zwiſchen ſeinen
Beinen durchguckend, in welcher Poſitur die Land-
ſchaft immer am reizendſten ausſieht, von der gött-
lichen Ausſicht, von der blauen duftigen Ferne und
dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut
ſchwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich
bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigſtens
in einen ſeiner Stiefeln ſtecken, wie die Samojeden
ihre Kinder bei ſich führen — er trug weite Schlapp-
ſtiefeln mit ſeidenen Troddeln vorn — jedoch ver-
gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich
zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner-
träglich und ich weinte oft die linke Rocktaſche
ganz naß.
Eines Tages ſaß mein Vater mit dem Rücken
gegen einen Oelbaum gelehnt, ſah die Sonne
untergehen und war außer ſich über ihren purpurnen
Widerſchein im Meerbuſen von Theſſalonich. Sonſt
pflegte er bei allem Enthuſiasmus die Hände in
der Taſche zu halten, ſo daß kein Entrinnen ge-
8*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/133>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.