Unglücklicher, verließest du die Tasche? -- Die Lage des Kindes war schaudervoll! Ueber mir der goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders, welches dem Geier seine Beute mißgönnt, tief, schwindlicht tief unten Land und Meer wechselnd als dunkele und blanke Streifen! -- Der Geier fliegt und fliegt; er ist ein Geier, der auf Reisen geht und sich seinen Mundproviant hat mitnehmen wollen. Das Ungeheuer schreit beständig: Pfy! Pfy! -- Da rufe ich mit dem Witze der Ver- zweiflung: O, wenn du Pfy! schreien kannst, so rufe doch zuerst über dich Pfy! aus, abscheulicher Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr als unredliche Handlungsweise! Nach der Natur- geschichte fällst du zuweilen ausnahmsweise Hirten- knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Hast du nicht selbst Kinder, Barbar? Jammert dich der Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen den Oelbaum gelehnt sitzt, vermuthlich noch immer die Sonne sinken sieht, und an den Sohn in der Tasche glaubt?
Unglücklicher, verließeſt du die Taſche? — Die Lage des Kindes war ſchaudervoll! Ueber mir der goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders, welches dem Geier ſeine Beute mißgönnt, tief, ſchwindlicht tief unten Land und Meer wechſelnd als dunkele und blanke Streifen! — Der Geier fliegt und fliegt; er iſt ein Geier, der auf Reiſen geht und ſich ſeinen Mundproviant hat mitnehmen wollen. Das Ungeheuer ſchreit beſtändig: Pfy! Pfy! — Da rufe ich mit dem Witze der Ver- zweiflung: O, wenn du Pfy! ſchreien kannſt, ſo rufe doch zuerſt über dich Pfy! aus, abſcheulicher Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr als unredliche Handlungsweiſe! Nach der Natur- geſchichte fällſt du zuweilen ausnahmsweiſe Hirten- knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Haſt du nicht ſelbſt Kinder, Barbar? Jammert dich der Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen den Oelbaum gelehnt ſitzt, vermuthlich noch immer die Sonne ſinken ſieht, und an den Sohn in der Taſche glaubt?
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0135"n="117"/>
Unglücklicher, verließeſt du die Taſche? — Die<lb/>
Lage des Kindes war ſchaudervoll! Ueber mir der<lb/>
goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden<lb/>
Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken<lb/>
oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders,<lb/>
welches dem Geier ſeine Beute mißgönnt, tief,<lb/>ſchwindlicht tief unten Land und Meer wechſelnd<lb/>
als dunkele und blanke Streifen! — Der Geier<lb/>
fliegt und fliegt; er iſt ein Geier, der auf Reiſen<lb/>
geht und ſich ſeinen Mundproviant hat mitnehmen<lb/>
wollen. Das Ungeheuer ſchreit beſtändig: Pfy!<lb/>
Pfy! — Da rufe ich mit dem Witze der Ver-<lb/>
zweiflung: O, wenn du Pfy! ſchreien kannſt, ſo<lb/>
rufe doch zuerſt über dich Pfy! aus, abſcheulicher<lb/>
Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr<lb/>
als unredliche Handlungsweiſe! Nach der Natur-<lb/>
geſchichte fällſt du zuweilen ausnahmsweiſe Hirten-<lb/>
knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich<lb/>
nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Haſt<lb/>
du nicht ſelbſt Kinder, Barbar? Jammert dich der<lb/>
Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen<lb/>
den Oelbaum gelehnt ſitzt, vermuthlich noch immer<lb/>
die Sonne ſinken ſieht, und an den Sohn in der<lb/>
Taſche glaubt?</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[117/0135]
Unglücklicher, verließeſt du die Taſche? — Die
Lage des Kindes war ſchaudervoll! Ueber mir der
goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden
Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken
oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders,
welches dem Geier ſeine Beute mißgönnt, tief,
ſchwindlicht tief unten Land und Meer wechſelnd
als dunkele und blanke Streifen! — Der Geier
fliegt und fliegt; er iſt ein Geier, der auf Reiſen
geht und ſich ſeinen Mundproviant hat mitnehmen
wollen. Das Ungeheuer ſchreit beſtändig: Pfy!
Pfy! — Da rufe ich mit dem Witze der Ver-
zweiflung: O, wenn du Pfy! ſchreien kannſt, ſo
rufe doch zuerſt über dich Pfy! aus, abſcheulicher
Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr
als unredliche Handlungsweiſe! Nach der Natur-
geſchichte fällſt du zuweilen ausnahmsweiſe Hirten-
knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich
nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Haſt
du nicht ſelbſt Kinder, Barbar? Jammert dich der
Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen
den Oelbaum gelehnt ſitzt, vermuthlich noch immer
die Sonne ſinken ſieht, und an den Sohn in der
Taſche glaubt?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/135>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.