nur Täuschung seyn möge. Ungeduldig wachte ich dem Tage entgegen, der mir Gewißheit bringen mußte, wenn auch vielleicht eine schreckliche. Bei dem ersten Schimmer der Morgenröthe schlüpfte ich, während die Heerde noch ruhte, aus der Höhle, rief: Bedenke, daß du Mensch bist! und wollte auf- recht einherschreiten, aber, o Ihr Himmlischen, es ging damit nicht; ich war genöthigt, auf allen Vieren zu laufen, auf allen Vieren zur Quelle Hippokrene, welche mir die Wahrheit zeigen sollte.
Ueber ihren klaren und göttlichen Spiegel ge- beugt, sah ich nunmehr, daß alle schwarzen Ahnun- gen Recht hatten, daß das Entsetzliche geschehen war. Ich sah aus ihrer Fluth einen mit zottigem Vließ bedeckten Leib mir abschreckend entgegenstarren, dünn und knöchern gewordene Gliedmaaßen, die, als ob sie Schaam empfänden, sich in Fell hüllten, ich sah spitz und steifgewordene Ohren und ach! jene von meinem Umgange mit der Heerde mir so bekannte Physiognomie, in welcher der Mund sich zum breiten Maule verzogen, die Nase die lächerliche Streckung nach vorn angenommen hatte, die Augen aber, erschreckt von diesen Verwandlungen, nach den Seitenbeinen des Schädels auseinander gewichen
nur Täuſchung ſeyn möge. Ungeduldig wachte ich dem Tage entgegen, der mir Gewißheit bringen mußte, wenn auch vielleicht eine ſchreckliche. Bei dem erſten Schimmer der Morgenröthe ſchlüpfte ich, während die Heerde noch ruhte, aus der Höhle, rief: Bedenke, daß du Menſch biſt! und wollte auf- recht einherſchreiten, aber, o Ihr Himmliſchen, es ging damit nicht; ich war genöthigt, auf allen Vieren zu laufen, auf allen Vieren zur Quelle Hippokrene, welche mir die Wahrheit zeigen ſollte.
Ueber ihren klaren und göttlichen Spiegel ge- beugt, ſah ich nunmehr, daß alle ſchwarzen Ahnun- gen Recht hatten, daß das Entſetzliche geſchehen war. Ich ſah aus ihrer Fluth einen mit zottigem Vließ bedeckten Leib mir abſchreckend entgegenſtarren, dünn und knöchern gewordene Gliedmaaßen, die, als ob ſie Schaam empfänden, ſich in Fell hüllten, ich ſah ſpitz und ſteifgewordene Ohren und ach! jene von meinem Umgange mit der Heerde mir ſo bekannte Phyſiognomie, in welcher der Mund ſich zum breiten Maule verzogen, die Naſe die lächerliche Streckung nach vorn angenommen hatte, die Augen aber, erſchreckt von dieſen Verwandlungen, nach den Seitenbeinen des Schädels auseinander gewichen
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nur Täuſchung ſeyn möge. Ungeduldig wachte ich
dem Tage entgegen, der mir Gewißheit bringen
mußte, wenn auch vielleicht eine ſchreckliche. Bei
dem erſten Schimmer der Morgenröthe ſchlüpfte ich,
während die Heerde noch ruhte, aus der Höhle,
rief: Bedenke, daß du Menſch biſt! und wollte auf-
recht einherſchreiten, aber, o Ihr Himmliſchen, es
ging damit nicht; ich war genöthigt, auf allen
Vieren zu laufen, auf allen Vieren zur Quelle
Hippokrene, welche mir die Wahrheit zeigen ſollte.
Ueber ihren klaren und göttlichen Spiegel ge-
beugt, ſah ich nunmehr, daß alle ſchwarzen Ahnun-
gen Recht hatten, daß das Entſetzliche geſchehen
war. Ich ſah aus ihrer Fluth einen mit zottigem
Vließ bedeckten Leib mir abſchreckend entgegenſtarren,
dünn und knöchern gewordene Gliedmaaßen, die,
als ob ſie Schaam empfänden, ſich in Fell hüllten,
ich ſah ſpitz und ſteifgewordene Ohren und ach!
jene von meinem Umgange mit der Heerde mir ſo
bekannte Phyſiognomie, in welcher der Mund ſich
zum breiten Maule verzogen, die Naſe die lächerliche
Streckung nach vorn angenommen hatte, die Augen
aber, erſchreckt von dieſen Verwandlungen, nach
den Seitenbeinen des Schädels auseinander gewichen
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/161>, abgerufen am 22.12.2024.
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