Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Da machte ich eine Entdeckung in meinem In-
neren, die noch schlimmer war, als die äußeren
Wahrnehmungen, welche mir die Quelle gegeben
hatte. Ich merkte nämlich, als ich mich scharf
prüfte, daß ich den Verlust meiner Humanität
eigentlich nur der Form wegen und Ehrenhalber
betrauere, im Grunde aber mit dem Fell an Leib
und Gliedern, mit dem breiten Maule, der nach
vorn gestreckten Nase, den seitwärts abgewichenen
Augen, mit den Keimen an Stirn und Rück-
grat wohl zufrieden sei. Meine Seele war, das
empfand ich, auch bereits in der Verbockung be-
griffen. -- O Menschen! Menschen! Menschen! nehmt
an dieser Thatsache ein warnendes Beispiel. Wahr-
lich, das Thier kommt rasch genug in Euch zum
Vorschein, wenn Ihr nicht unablässig auf Euch
achtet.

Ich graste und hing Betrachtungen dieser tief-
sinnigen Art nach, als die Ankunft der Heerde
mich in denselben störte. Die guten Ziegen waren
schon besorgt um mich gewesen und zeigten, als
sie mich bei der Hippokrene denkend und grasend
fanden, die unverstellteste Freude, so daß nicht
viel an einer Wiederholung der nächtlichen Auf-

Immermann's Münchhausen. 2. Th. 10

Da machte ich eine Entdeckung in meinem In-
neren, die noch ſchlimmer war, als die äußeren
Wahrnehmungen, welche mir die Quelle gegeben
hatte. Ich merkte nämlich, als ich mich ſcharf
prüfte, daß ich den Verluſt meiner Humanität
eigentlich nur der Form wegen und Ehrenhalber
betrauere, im Grunde aber mit dem Fell an Leib
und Gliedern, mit dem breiten Maule, der nach
vorn geſtreckten Naſe, den ſeitwärts abgewichenen
Augen, mit den Keimen an Stirn und Rück-
grat wohl zufrieden ſei. Meine Seele war, das
empfand ich, auch bereits in der Verbockung be-
griffen. — O Menſchen! Menſchen! Menſchen! nehmt
an dieſer Thatſache ein warnendes Beiſpiel. Wahr-
lich, das Thier kommt raſch genug in Euch zum
Vorſchein, wenn Ihr nicht unabläſſig auf Euch
achtet.

Ich graſte und hing Betrachtungen dieſer tief-
ſinnigen Art nach, als die Ankunft der Heerde
mich in denſelben ſtörte. Die guten Ziegen waren
ſchon beſorgt um mich geweſen und zeigten, als
ſie mich bei der Hippokrene denkend und graſend
fanden, die unverſtellteſte Freude, ſo daß nicht
viel an einer Wiederholung der nächtlichen Auf-

Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0163" n="145"/>
          <p>Da machte ich eine Entdeckung in meinem In-<lb/>
neren, die noch &#x017F;chlimmer war, als die äußeren<lb/>
Wahrnehmungen, welche mir die Quelle gegeben<lb/>
hatte. Ich merkte nämlich, als ich mich &#x017F;charf<lb/>
prüfte, daß ich den Verlu&#x017F;t meiner Humanität<lb/>
eigentlich nur der Form wegen und Ehrenhalber<lb/>
betrauere, im Grunde aber mit dem Fell an Leib<lb/>
und Gliedern, mit dem breiten Maule, der nach<lb/>
vorn ge&#x017F;treckten Na&#x017F;e, den &#x017F;eitwärts abgewichenen<lb/>
Augen, mit den Keimen an Stirn und Rück-<lb/>
grat wohl zufrieden &#x017F;ei. Meine Seele war, das<lb/>
empfand ich, auch bereits in der Verbockung be-<lb/>
griffen. &#x2014; O Men&#x017F;chen! Men&#x017F;chen! Men&#x017F;chen! nehmt<lb/>
an die&#x017F;er That&#x017F;ache ein warnendes Bei&#x017F;piel. Wahr-<lb/>
lich, das Thier kommt ra&#x017F;ch genug in Euch zum<lb/>
Vor&#x017F;chein, wenn Ihr nicht unablä&#x017F;&#x017F;ig auf Euch<lb/>
achtet.</p><lb/>
          <p>Ich gra&#x017F;te und hing Betrachtungen die&#x017F;er tief-<lb/>
&#x017F;innigen Art nach, als die Ankunft der Heerde<lb/>
mich in den&#x017F;elben &#x017F;törte. Die guten Ziegen waren<lb/>
&#x017F;chon be&#x017F;orgt um mich gewe&#x017F;en und zeigten, als<lb/>
&#x017F;ie mich bei der Hippokrene denkend und gra&#x017F;end<lb/>
fanden, die unver&#x017F;tellte&#x017F;te Freude, &#x017F;o daß nicht<lb/>
viel an einer Wiederholung der nächtlichen Auf-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Immermann&#x2019;s Münchhau&#x017F;en. 2. Th. 10</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0163] Da machte ich eine Entdeckung in meinem In- neren, die noch ſchlimmer war, als die äußeren Wahrnehmungen, welche mir die Quelle gegeben hatte. Ich merkte nämlich, als ich mich ſcharf prüfte, daß ich den Verluſt meiner Humanität eigentlich nur der Form wegen und Ehrenhalber betrauere, im Grunde aber mit dem Fell an Leib und Gliedern, mit dem breiten Maule, der nach vorn geſtreckten Naſe, den ſeitwärts abgewichenen Augen, mit den Keimen an Stirn und Rück- grat wohl zufrieden ſei. Meine Seele war, das empfand ich, auch bereits in der Verbockung be- griffen. — O Menſchen! Menſchen! Menſchen! nehmt an dieſer Thatſache ein warnendes Beiſpiel. Wahr- lich, das Thier kommt raſch genug in Euch zum Vorſchein, wenn Ihr nicht unabläſſig auf Euch achtet. Ich graſte und hing Betrachtungen dieſer tief- ſinnigen Art nach, als die Ankunft der Heerde mich in denſelben ſtörte. Die guten Ziegen waren ſchon beſorgt um mich geweſen und zeigten, als ſie mich bei der Hippokrene denkend und graſend fanden, die unverſtellteſte Freude, ſo daß nicht viel an einer Wiederholung der nächtlichen Auf- Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/163
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/163>, abgerufen am 22.12.2024.