hielten die beiden Bocke ihre Besserungsreden, wenn sie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes, der Andere das junge Laubgesproß, welches an der Felsritze gerade in der wucherndsten und saftigsten Fülle wuchs.
Ist es denn nicht besser, sich an reiner und reinlicher Nahrung zu sättigen? sprach Solon zum Käfer, wenn er von dem Genusse des Laubes aus- ruhte. -- Fühlst du denn nicht, du armer Gesunkener, daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus der Vater in die Furchen der brütenden Mutter aussäte, die Speise aus der Hand der Götter, nicht aber sie aus der Pforte, die da stäts nur ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck- liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift und Gefilde heilsam in das Reich der blonden De- meter emporschickt, zu verachten, und erst dann danach zu streben, wenn es, in den Hades gestoßen, dem gestaltenlosen Schattengebiete der traurigen Persephoneia angehört! Liebst du des Hafers gol- denes Korn, warum frissest du nicht Hafer? Ge- lüstet dich nach dem Sproß des Grases, weßhalb beißest du nicht in Gras? Was reizt, was verführt dich, das Alles erst umgestimmt, entmischt, abgenützt
hielten die beiden Bocke ihre Beſſerungsreden, wenn ſie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes, der Andere das junge Laubgeſproß, welches an der Felsritze gerade in der wucherndſten und ſaftigſten Fülle wuchs.
Iſt es denn nicht beſſer, ſich an reiner und reinlicher Nahrung zu ſättigen? ſprach Solon zum Käfer, wenn er von dem Genuſſe des Laubes aus- ruhte. — Fühlſt du denn nicht, du armer Geſunkener, daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus der Vater in die Furchen der brütenden Mutter ausſäte, die Speiſe aus der Hand der Götter, nicht aber ſie aus der Pforte, die da ſtäts nur ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck- liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift und Gefilde heilſam in das Reich der blonden De- meter emporſchickt, zu verachten, und erſt dann danach zu ſtreben, wenn es, in den Hades geſtoßen, dem geſtaltenloſen Schattengebiete der traurigen Perſephoneia angehört! Liebſt du des Hafers gol- denes Korn, warum friſſeſt du nicht Hafer? Ge- lüſtet dich nach dem Sproß des Graſes, weßhalb beißeſt du nicht in Gras? Was reizt, was verführt dich, das Alles erſt umgeſtimmt, entmiſcht, abgenützt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0180"n="162"/>
hielten die beiden Bocke ihre Beſſerungsreden, wenn<lb/>ſie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes,<lb/>
der Andere das junge Laubgeſproß, welches an der<lb/>
Felsritze gerade in der wucherndſten und ſaftigſten<lb/>
Fülle wuchs.</p><lb/><p>Iſt es denn nicht beſſer, ſich an reiner und<lb/>
reinlicher Nahrung zu ſättigen? ſprach Solon zum<lb/>
Käfer, wenn er von dem Genuſſe des Laubes aus-<lb/>
ruhte. — Fühlſt du denn nicht, du armer Geſunkener,<lb/>
daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus<lb/>
der Vater in die Furchen der brütenden Mutter<lb/>
ausſäte, die Speiſe aus der Hand der Götter,<lb/>
nicht aber ſie aus der Pforte, die da ſtäts nur<lb/>
ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck-<lb/>
liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift<lb/>
und Gefilde heilſam in das Reich der blonden De-<lb/>
meter emporſchickt, zu verachten, und erſt dann<lb/>
danach zu ſtreben, wenn es, in den Hades geſtoßen,<lb/>
dem geſtaltenloſen Schattengebiete der traurigen<lb/>
Perſephoneia angehört! Liebſt du des Hafers gol-<lb/>
denes Korn, warum friſſeſt du nicht Hafer? Ge-<lb/>
lüſtet dich nach dem Sproß des Graſes, weßhalb<lb/>
beißeſt du nicht in Gras? Was reizt, was verführt<lb/>
dich, das Alles erſt umgeſtimmt, entmiſcht, abgenützt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[162/0180]
hielten die beiden Bocke ihre Beſſerungsreden, wenn
ſie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes,
der Andere das junge Laubgeſproß, welches an der
Felsritze gerade in der wucherndſten und ſaftigſten
Fülle wuchs.
Iſt es denn nicht beſſer, ſich an reiner und
reinlicher Nahrung zu ſättigen? ſprach Solon zum
Käfer, wenn er von dem Genuſſe des Laubes aus-
ruhte. — Fühlſt du denn nicht, du armer Geſunkener,
daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus
der Vater in die Furchen der brütenden Mutter
ausſäte, die Speiſe aus der Hand der Götter,
nicht aber ſie aus der Pforte, die da ſtäts nur
ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck-
liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift
und Gefilde heilſam in das Reich der blonden De-
meter emporſchickt, zu verachten, und erſt dann
danach zu ſtreben, wenn es, in den Hades geſtoßen,
dem geſtaltenloſen Schattengebiete der traurigen
Perſephoneia angehört! Liebſt du des Hafers gol-
denes Korn, warum friſſeſt du nicht Hafer? Ge-
lüſtet dich nach dem Sproß des Graſes, weßhalb
beißeſt du nicht in Gras? Was reizt, was verführt
dich, das Alles erſt umgeſtimmt, entmiſcht, abgenützt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/180>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.