Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Nein, es ist zu viel! meckerte ich ingrimmig
und traurig zugleich; indem ich am Felsen Klein-
Helikon niedersank und meine heiße Stirn wider
diese Klinker stieß. Nicht leben können, und nicht
sterben dürfen! -- Ich sah schon im Geiste den
Augenblick, der meinen Entschluß gewaltsam brechen
würde, und das furchtbare Instrument in Grieten's
Hand, ich sah mich schon wieder schamroth, ent-
würdigt, in die alten Conflicte zurückgeworfen,
denen meine freie Seele sich entronnen wähnte.

Ach, der nämliche Tag sollte mich noch etwas
ganz Anderes sehen lassen! Wie schwach steht es
um die sogenannten großen Vorsätze! Bittere und
demüthigende Erfahrung, die ich an mir selber
machte!

Myn Heer van Streef empfing an diesem Tage
einen Besuch von seinen Nachbarn de Jonghe und
van Toll. Die Besitzer der drei Landhäuser Wel-
gelegen, Schoone Zicht und Vrouw Elizaheth pfleg-
ten einander nur einmal im Jahre gegenseitig zu
besuchen. Die Tage waren ein für allemal festge-
stellt, und sonst sahen einander die drei Holländer
nicht, obgleich die Landhäuser kaum fünfhundert
Schritte von einander entfernt waren. Wenn sie

Nein, es iſt zu viel! meckerte ich ingrimmig
und traurig zugleich; indem ich am Felſen Klein-
Helikon niederſank und meine heiße Stirn wider
dieſe Klinker ſtieß. Nicht leben können, und nicht
ſterben dürfen! — Ich ſah ſchon im Geiſte den
Augenblick, der meinen Entſchluß gewaltſam brechen
würde, und das furchtbare Inſtrument in Grieten’s
Hand, ich ſah mich ſchon wieder ſchamroth, ent-
würdigt, in die alten Conflicte zurückgeworfen,
denen meine freie Seele ſich entronnen wähnte.

Ach, der nämliche Tag ſollte mich noch etwas
ganz Anderes ſehen laſſen! Wie ſchwach ſteht es
um die ſogenannten großen Vorſätze! Bittere und
demüthigende Erfahrung, die ich an mir ſelber
machte!

Myn Heer van Streef empfing an dieſem Tage
einen Beſuch von ſeinen Nachbarn de Jonghe und
van Toll. Die Beſitzer der drei Landhäuſer Wel-
gelegen, Schoone Zicht und Vrouw Elizaheth pfleg-
ten einander nur einmal im Jahre gegenſeitig zu
beſuchen. Die Tage waren ein für allemal feſtge-
ſtellt, und ſonſt ſahen einander die drei Holländer
nicht, obgleich die Landhäuſer kaum fünfhundert
Schritte von einander entfernt waren. Wenn ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0217" n="199"/>
          <p>Nein, es i&#x017F;t zu viel! meckerte ich ingrimmig<lb/>
und traurig zugleich; indem ich am Fel&#x017F;en Klein-<lb/>
Helikon nieder&#x017F;ank und meine heiße Stirn wider<lb/>
die&#x017F;e Klinker &#x017F;tieß. Nicht leben können, und nicht<lb/>
&#x017F;terben dürfen! &#x2014; Ich &#x017F;ah &#x017F;chon im Gei&#x017F;te den<lb/>
Augenblick, der meinen Ent&#x017F;chluß gewalt&#x017F;am brechen<lb/>
würde, und das furchtbare In&#x017F;trument in Grieten&#x2019;s<lb/>
Hand, ich &#x017F;ah mich &#x017F;chon wieder &#x017F;chamroth, ent-<lb/>
würdigt, in die alten Conflicte zurückgeworfen,<lb/>
denen meine freie Seele &#x017F;ich entronnen wähnte.</p><lb/>
          <p>Ach, der nämliche Tag &#x017F;ollte mich noch etwas<lb/>
ganz Anderes &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en! Wie &#x017F;chwach &#x017F;teht es<lb/>
um die &#x017F;ogenannten großen Vor&#x017F;ätze! Bittere und<lb/>
demüthigende Erfahrung, die ich an mir &#x017F;elber<lb/>
machte!</p><lb/>
          <p>Myn Heer van Streef empfing an die&#x017F;em Tage<lb/>
einen Be&#x017F;uch von &#x017F;einen Nachbarn de Jonghe und<lb/>
van Toll. Die Be&#x017F;itzer der drei Landhäu&#x017F;er Wel-<lb/>
gelegen, Schoone Zicht und Vrouw Elizaheth pfleg-<lb/>
ten einander nur einmal im Jahre gegen&#x017F;eitig zu<lb/>
be&#x017F;uchen. Die Tage waren ein für allemal fe&#x017F;tge-<lb/>
&#x017F;tellt, und &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ahen einander die drei Holländer<lb/>
nicht, obgleich die Landhäu&#x017F;er kaum fünfhundert<lb/>
Schritte von einander entfernt waren. Wenn &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0217] Nein, es iſt zu viel! meckerte ich ingrimmig und traurig zugleich; indem ich am Felſen Klein- Helikon niederſank und meine heiße Stirn wider dieſe Klinker ſtieß. Nicht leben können, und nicht ſterben dürfen! — Ich ſah ſchon im Geiſte den Augenblick, der meinen Entſchluß gewaltſam brechen würde, und das furchtbare Inſtrument in Grieten’s Hand, ich ſah mich ſchon wieder ſchamroth, ent- würdigt, in die alten Conflicte zurückgeworfen, denen meine freie Seele ſich entronnen wähnte. Ach, der nämliche Tag ſollte mich noch etwas ganz Anderes ſehen laſſen! Wie ſchwach ſteht es um die ſogenannten großen Vorſätze! Bittere und demüthigende Erfahrung, die ich an mir ſelber machte! Myn Heer van Streef empfing an dieſem Tage einen Beſuch von ſeinen Nachbarn de Jonghe und van Toll. Die Beſitzer der drei Landhäuſer Wel- gelegen, Schoone Zicht und Vrouw Elizaheth pfleg- ten einander nur einmal im Jahre gegenſeitig zu beſuchen. Die Tage waren ein für allemal feſtge- ſtellt, und ſonſt ſahen einander die drei Holländer nicht, obgleich die Landhäuſer kaum fünfhundert Schritte von einander entfernt waren. Wenn ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/217
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/217>, abgerufen am 22.12.2024.