Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

in jener Tasche auf; es ist noch ein Rest Frühstück
darin; ich versuche, es zu essen. Es gelingt; ich
kann wieder Brod und Wurst essen! Ich bin ein
Mensch wieder, das gebildete Kind gebildeter El-
tern! Aber wie ging das zu? Mein Vater trägt
mich in das Lusthaus Vrouw Elizabeth. Er ist's
ja, er ist der gute Chemicus, der sich dort auf-
gehalten, der mit dem Nachschlüssel zu mir kommen,
mich nach Mitternacht bei Laternenlicht abreißen
wollte, aber von einer unerklärlichen Unruhe ge-
trieben, (sein Vaterherz war's, das so stürmisch ge-
klopft hatte!) vor Mitternacht sich aufmachte, einen
Degen zu sich steckte, weil das Abentheuer immer
einige Gefahr hatte, und so am Canal Zeuge des
Diebstahls wurde.

Wie ich diese ersten Erklärungen der wunder-
baren Geschichte empfangen, ich weiß es nicht mehr
zu sagen. Mein Vater stammelte nach der Tasche
hinunter, worin ich saß, ich stammelte hinauf, wir
begriffen uns durch Naturlaute. -- Aber warum
machtest du nicht Lärmen, mein Vater, als du den
Dieb über die Mauer steigen sahst? fragte ich in
einem ruhigen Augenblicke. -- O Sohn, versetzte
er, um einen Menschen zu retten, haben sich wohl

in jener Taſche auf; es iſt noch ein Reſt Frühſtück
darin; ich verſuche, es zu eſſen. Es gelingt; ich
kann wieder Brod und Wurſt eſſen! Ich bin ein
Menſch wieder, das gebildete Kind gebildeter El-
tern! Aber wie ging das zu? Mein Vater trägt
mich in das Luſthaus Vrouw Elizabeth. Er iſt’s
ja, er iſt der gute Chemicus, der ſich dort auf-
gehalten, der mit dem Nachſchlüſſel zu mir kommen,
mich nach Mitternacht bei Laternenlicht abreißen
wollte, aber von einer unerklärlichen Unruhe ge-
trieben, (ſein Vaterherz war’s, das ſo ſtürmiſch ge-
klopft hatte!) vor Mitternacht ſich aufmachte, einen
Degen zu ſich ſteckte, weil das Abentheuer immer
einige Gefahr hatte, und ſo am Canal Zeuge des
Diebſtahls wurde.

Wie ich dieſe erſten Erklärungen der wunder-
baren Geſchichte empfangen, ich weiß es nicht mehr
zu ſagen. Mein Vater ſtammelte nach der Taſche
hinunter, worin ich ſaß, ich ſtammelte hinauf, wir
begriffen uns durch Naturlaute. — Aber warum
machteſt du nicht Lärmen, mein Vater, als du den
Dieb über die Mauer ſteigen ſahſt? fragte ich in
einem ruhigen Augenblicke. — O Sohn, verſetzte
er, um einen Menſchen zu retten, haben ſich wohl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0228" n="210"/>
in jener Ta&#x017F;che auf; es i&#x017F;t noch ein Re&#x017F;t Früh&#x017F;tück<lb/>
darin; ich ver&#x017F;uche, es zu e&#x017F;&#x017F;en. Es gelingt; ich<lb/>
kann wieder Brod und Wur&#x017F;t e&#x017F;&#x017F;en! Ich bin ein<lb/>
Men&#x017F;ch wieder, das gebildete Kind gebildeter El-<lb/>
tern! Aber wie ging das zu? Mein Vater trägt<lb/>
mich in das Lu&#x017F;thaus Vrouw Elizabeth. Er i&#x017F;t&#x2019;s<lb/>
ja, <hi rendition="#g">er</hi> i&#x017F;t der gute Chemicus, der &#x017F;ich dort auf-<lb/>
gehalten, der mit dem Nach&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;el zu mir kommen,<lb/>
mich nach Mitternacht bei Laternenlicht abreißen<lb/>
wollte, aber von einer unerklärlichen Unruhe ge-<lb/>
trieben, (&#x017F;ein Vaterherz war&#x2019;s, das &#x017F;o &#x017F;türmi&#x017F;ch ge-<lb/>
klopft hatte!) vor Mitternacht &#x017F;ich aufmachte, einen<lb/>
Degen zu &#x017F;ich &#x017F;teckte, weil das Abentheuer immer<lb/>
einige Gefahr hatte, und &#x017F;o am Canal Zeuge des<lb/>
Dieb&#x017F;tahls wurde.</p><lb/>
          <p>Wie ich die&#x017F;e er&#x017F;ten Erklärungen der wunder-<lb/>
baren Ge&#x017F;chichte empfangen, ich weiß es nicht mehr<lb/>
zu &#x017F;agen. Mein Vater &#x017F;tammelte nach der Ta&#x017F;che<lb/>
hinunter, worin ich &#x017F;aß, ich &#x017F;tammelte hinauf, wir<lb/>
begriffen uns durch Naturlaute. &#x2014; Aber warum<lb/>
machte&#x017F;t du nicht Lärmen, mein Vater, als du den<lb/>
Dieb über die Mauer &#x017F;teigen &#x017F;ah&#x017F;t? fragte ich in<lb/>
einem ruhigen Augenblicke. &#x2014; O Sohn, ver&#x017F;etzte<lb/>
er, um einen Men&#x017F;chen zu retten, haben &#x017F;ich wohl<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0228] in jener Taſche auf; es iſt noch ein Reſt Frühſtück darin; ich verſuche, es zu eſſen. Es gelingt; ich kann wieder Brod und Wurſt eſſen! Ich bin ein Menſch wieder, das gebildete Kind gebildeter El- tern! Aber wie ging das zu? Mein Vater trägt mich in das Luſthaus Vrouw Elizabeth. Er iſt’s ja, er iſt der gute Chemicus, der ſich dort auf- gehalten, der mit dem Nachſchlüſſel zu mir kommen, mich nach Mitternacht bei Laternenlicht abreißen wollte, aber von einer unerklärlichen Unruhe ge- trieben, (ſein Vaterherz war’s, das ſo ſtürmiſch ge- klopft hatte!) vor Mitternacht ſich aufmachte, einen Degen zu ſich ſteckte, weil das Abentheuer immer einige Gefahr hatte, und ſo am Canal Zeuge des Diebſtahls wurde. Wie ich dieſe erſten Erklärungen der wunder- baren Geſchichte empfangen, ich weiß es nicht mehr zu ſagen. Mein Vater ſtammelte nach der Taſche hinunter, worin ich ſaß, ich ſtammelte hinauf, wir begriffen uns durch Naturlaute. — Aber warum machteſt du nicht Lärmen, mein Vater, als du den Dieb über die Mauer ſteigen ſahſt? fragte ich in einem ruhigen Augenblicke. — O Sohn, verſetzte er, um einen Menſchen zu retten, haben ſich wohl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/228
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/228>, abgerufen am 22.12.2024.