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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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unter den Tisch, und schrieb darauf mit Bleistift
nicht ohne Mühe und Nachdenken folgende Zeilen
an die Wand:

Allhier habe ich, Christoph Agesel, weiland
Schulmeister auf und zu Hackelpfiffelsberg neun
Monate lang in schwerer Krankheit zugebracht,
welche mir durch eine unverständliche Sprachlehre
angethan worden war. Nachdem der grundgütige
Gott mir meine Gesundheit wieder verliehen,
scheide ich von diesem Orte, an welchem ich manche
schöne Stunde verlebte, mit Dank für die Ver-
gangenheit und mit Hoffnungen für die Zukunft.

Wie reizend ist doch die Empfindung
Ganz wieder bei Verstand zu seyn,
Er bleibt die herrlichste Erfindung,
Schützt uns vor leeren Träumerein;
Man wird damit auf Erden fast
Bereits zu einem Himmelsgast.

Nach dieser Schäferstunde seiner Muse schritt
der Schulmeister hinaus in den Garten, wo über
allen Verwilderungen und Trümmern der wolken-
lose blaue Himmel leuchtete, warf einen dankenden
und abschiednehmenden Blick den ausgewachsenen
Taxusfiguren, dem Genius des Schweigens, dem
Flötenbläser ohne Flöte und dem Delphin ohne

unter den Tiſch, und ſchrieb darauf mit Bleiſtift
nicht ohne Mühe und Nachdenken folgende Zeilen
an die Wand:

Allhier habe ich, Chriſtoph Ageſel, weiland
Schulmeiſter auf und zu Hackelpfiffelsberg neun
Monate lang in ſchwerer Krankheit zugebracht,
welche mir durch eine unverſtändliche Sprachlehre
angethan worden war. Nachdem der grundgütige
Gott mir meine Geſundheit wieder verliehen,
ſcheide ich von dieſem Orte, an welchem ich manche
ſchöne Stunde verlebte, mit Dank für die Ver-
gangenheit und mit Hoffnungen für die Zukunft.

Wie reizend iſt doch die Empfindung
Ganz wieder bei Verſtand zu ſeyn,
Er bleibt die herrlichſte Erfindung,
Schützt uns vor leeren Träumerein;
Man wird damit auf Erden faſt
Bereits zu einem Himmelsgaſt.

Nach dieſer Schäferſtunde ſeiner Muſe ſchritt
der Schulmeiſter hinaus in den Garten, wo über
allen Verwilderungen und Trümmern der wolken-
loſe blaue Himmel leuchtete, warf einen dankenden
und abſchiednehmenden Blick den ausgewachſenen
Taxusfiguren, dem Genius des Schweigens, dem
Flötenbläſer ohne Flöte und dem Delphin ohne

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[219/0237] unter den Tiſch, und ſchrieb darauf mit Bleiſtift nicht ohne Mühe und Nachdenken folgende Zeilen an die Wand: Allhier habe ich, Chriſtoph Ageſel, weiland Schulmeiſter auf und zu Hackelpfiffelsberg neun Monate lang in ſchwerer Krankheit zugebracht, welche mir durch eine unverſtändliche Sprachlehre angethan worden war. Nachdem der grundgütige Gott mir meine Geſundheit wieder verliehen, ſcheide ich von dieſem Orte, an welchem ich manche ſchöne Stunde verlebte, mit Dank für die Ver- gangenheit und mit Hoffnungen für die Zukunft. Wie reizend iſt doch die Empfindung Ganz wieder bei Verſtand zu ſeyn, Er bleibt die herrlichſte Erfindung, Schützt uns vor leeren Träumerein; Man wird damit auf Erden faſt Bereits zu einem Himmelsgaſt. Nach dieſer Schäferſtunde ſeiner Muſe ſchritt der Schulmeiſter hinaus in den Garten, wo über allen Verwilderungen und Trümmern der wolken- loſe blaue Himmel leuchtete, warf einen dankenden und abſchiednehmenden Blick den ausgewachſenen Taxusfiguren, dem Genius des Schweigens, dem Flötenbläſer ohne Flöte und dem Delphin ohne

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/237>, abgerufen am 22.12.2024.