Auf einem dieser Gänge fiel es mir auf, daß die engbrüstige Nätherin nicht mehr vor ihrem Hause saß. Ist die Jungfer Schnotterbaum krank? fragte ich einen Nachbar. O nein, versetzte der Mann, aber sie muß Betrübniß haben, denn wir hören sie den ganzen Tag über in ihrer Stube seufzen und mit sich selbst reden. -- Ei, sagte ich, da will ich zu ihr gehen und sie trösten. -- 'S geht nicht, erwiederte der Nachbar, sie hält sich einge- schlossen und hat sogar das Schlüsselloch verstopft.
In diesem Augenblicke fuhr die Nätherin von innen an ihr Fenster, sah nach uns mit unheim- lichen Augen und schoß dann wieder in die hin- terste Ecke ihres Zimmers. -- Der Person fehlt etwas, sagte ich, man muß doch suchen, ihr zu helfen. -- Ich ging in's Haus. -- Jungfer Schnotter- baum, thun Sie auf, sagte ich, nachdem ich vergebens an der Thüre geklinkt hatte. Nein! rief sie, er kommt sonst mit und setzt sich auf mich. -- Wer denn? fragte ich. -- Mein Vater, der Magister, versetzte sie. Jetzt kann er nicht hereindringen, denn Fenster und Thüren sind verschlossen, und im Schlüsselloche stickt ein Pfropfen. Aber sobald ich nur ein Weniges öffne, kreucht er ein. -- Haben
Auf einem dieſer Gänge fiel es mir auf, daß die engbrüſtige Nätherin nicht mehr vor ihrem Hauſe ſaß. Iſt die Jungfer Schnotterbaum krank? fragte ich einen Nachbar. O nein, verſetzte der Mann, aber ſie muß Betrübniß haben, denn wir hören ſie den ganzen Tag über in ihrer Stube ſeufzen und mit ſich ſelbſt reden. — Ei, ſagte ich, da will ich zu ihr gehen und ſie tröſten. — ’S geht nicht, erwiederte der Nachbar, ſie hält ſich einge- ſchloſſen und hat ſogar das Schlüſſelloch verſtopft.
In dieſem Augenblicke fuhr die Nätherin von innen an ihr Fenſter, ſah nach uns mit unheim- lichen Augen und ſchoß dann wieder in die hin- terſte Ecke ihres Zimmers. — Der Perſon fehlt etwas, ſagte ich, man muß doch ſuchen, ihr zu helfen. — Ich ging in’s Haus. — Jungfer Schnotter- baum, thun Sie auf, ſagte ich, nachdem ich vergebens an der Thüre geklinkt hatte. Nein! rief ſie, er kommt ſonſt mit und ſetzt ſich auf mich. — Wer denn? fragte ich. — Mein Vater, der Magiſter, verſetzte ſie. Jetzt kann er nicht hereindringen, denn Fenſter und Thüren ſind verſchloſſen, und im Schlüſſelloche ſtickt ein Pfropfen. Aber ſobald ich nur ein Weniges öffne, kreucht er ein. — Haben
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Auf einem dieſer Gänge fiel es mir auf, daß
die engbrüſtige Nätherin nicht mehr vor ihrem
Hauſe ſaß. Iſt die Jungfer Schnotterbaum krank?
fragte ich einen Nachbar. O nein, verſetzte der
Mann, aber ſie muß Betrübniß haben, denn wir
hören ſie den ganzen Tag über in ihrer Stube
ſeufzen und mit ſich ſelbſt reden. — Ei, ſagte ich,
da will ich zu ihr gehen und ſie tröſten. — ’S geht
nicht, erwiederte der Nachbar, ſie hält ſich einge-
ſchloſſen und hat ſogar das Schlüſſelloch verſtopft.
In dieſem Augenblicke fuhr die Nätherin von
innen an ihr Fenſter, ſah nach uns mit unheim-
lichen Augen und ſchoß dann wieder in die hin-
terſte Ecke ihres Zimmers. — Der Perſon fehlt
etwas, ſagte ich, man muß doch ſuchen, ihr zu
helfen. — Ich ging in’s Haus. — Jungfer Schnotter-
baum, thun Sie auf, ſagte ich, nachdem ich vergebens
an der Thüre geklinkt hatte. Nein! rief ſie, er
kommt ſonſt mit und ſetzt ſich auf mich. — Wer
denn? fragte ich. — Mein Vater, der Magiſter,
verſetzte ſie. Jetzt kann er nicht hereindringen,
denn Fenſter und Thüren ſind verſchloſſen, und im
Schlüſſelloche ſtickt ein Pfropfen. Aber ſobald ich
nur ein Weniges öffne, kreucht er ein. — Haben
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/298>, abgerufen am 23.12.2024.
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