genöthigt waren, Mannskleider anzulegen, ihren Discant zum Baß zu verstellen, und überhaupt das zu scheinen, was sie nie waren.
Das Geheimniß wäre sonach gegenwärtig hier deponirt, und damit hätte das ganze Legat seine vollständige Stiftung erhalten. Die frommen und süßen Seelen werden es ein lästerliches nennen; in meinem Sinne jedoch ist es recht eigentlich eins zu frommen Zwecken.
Den Zufall aber ernenne ich zum Testaments- vollstrecker, und soll es von ihm abhangen, ob und wann dieser letzte Wille eröffnet und die Erbfolge nach demselben angetreten wird. Ich halte sehr viel vom Zufall, seit ich gesehen, welche erbärm- liche Fratze die Menschen aus der Vorsehung ma- chen. Es bestimmt mich auch noch ein anderer Grund. Ich weiß, daß im Rachen des Löwen Erbarmen wohnen kann und aus den Krallen des Tigers Rettung gefunden werden mag, daß aber keine Gnade ist bei den Propheten. Bei meinem Leben kommt es daher nicht heraus. Aber, wie ich meiner Nachwelt die Wissenschaft nicht unter- schlagen darf, so will ich doch auch die Kunde nicht beschleunigen. Der Zufall verwalte Alles und gebe
genöthigt waren, Mannskleider anzulegen, ihren Discant zum Baß zu verſtellen, und überhaupt das zu ſcheinen, was ſie nie waren.
Das Geheimniß wäre ſonach gegenwärtig hier deponirt, und damit hätte das ganze Legat ſeine vollſtändige Stiftung erhalten. Die frommen und ſüßen Seelen werden es ein läſterliches nennen; in meinem Sinne jedoch iſt es recht eigentlich eins zu frommen Zwecken.
Den Zufall aber ernenne ich zum Teſtaments- vollſtrecker, und ſoll es von ihm abhangen, ob und wann dieſer letzte Wille eröffnet und die Erbfolge nach demſelben angetreten wird. Ich halte ſehr viel vom Zufall, ſeit ich geſehen, welche erbärm- liche Fratze die Menſchen aus der Vorſehung ma- chen. Es beſtimmt mich auch noch ein anderer Grund. Ich weiß, daß im Rachen des Löwen Erbarmen wohnen kann und aus den Krallen des Tigers Rettung gefunden werden mag, daß aber keine Gnade iſt bei den Propheten. Bei meinem Leben kommt es daher nicht heraus. Aber, wie ich meiner Nachwelt die Wiſſenſchaft nicht unter- ſchlagen darf, ſo will ich doch auch die Kunde nicht beſchleunigen. Der Zufall verwalte Alles und gebe
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genöthigt waren, Mannskleider anzulegen, ihren
Discant zum Baß zu verſtellen, und überhaupt das
zu ſcheinen, was ſie nie waren.
Das Geheimniß wäre ſonach gegenwärtig hier
deponirt, und damit hätte das ganze Legat ſeine
vollſtändige Stiftung erhalten. Die frommen und
ſüßen Seelen werden es ein läſterliches nennen;
in meinem Sinne jedoch iſt es recht eigentlich eins
zu frommen Zwecken.
Den Zufall aber ernenne ich zum Teſtaments-
vollſtrecker, und ſoll es von ihm abhangen, ob und
wann dieſer letzte Wille eröffnet und die Erbfolge
nach demſelben angetreten wird. Ich halte ſehr
viel vom Zufall, ſeit ich geſehen, welche erbärm-
liche Fratze die Menſchen aus der Vorſehung ma-
chen. Es beſtimmt mich auch noch ein anderer
Grund. Ich weiß, daß im Rachen des Löwen
Erbarmen wohnen kann und aus den Krallen des
Tigers Rettung gefunden werden mag, daß aber
keine Gnade iſt bei den Propheten. Bei meinem
Leben kommt es daher nicht heraus. Aber, wie
ich meiner Nachwelt die Wiſſenſchaft nicht unter-
ſchlagen darf, ſo will ich doch auch die Kunde nicht
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/365>, abgerufen am 22.12.2024.
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