chen; der Schreck erhielt seine Kehle in Trockniß trotz alles Gießens. So, zwischen Entsetzen und Appetit, glich er, wenn dieses Gleichniß nicht zu niedrig klingt, dem Hunde, der vor einer erwisch- ten Bratwurst sitzt, vor Wollust zittert, sie zu ver- schlingen, und dabei scheu nach dem Herrn sieht, der aus der Entfernung bereits mit der Peitsche herbeieilt.
Der vornehme Herr vom Hofe machte unter- dessen vergebliche Versuche, sich herabzulassen, und gerieth darüber in Verlegenheit. Er saß zwischen dem Hofschulzen und dem Diaconus, und hatte gegenüber zwei Bauerfrauen, die bei ihren Män- nern saßen. Als das gewaltige Essen begann, fühlte er wohl, daß er in diese Thätigkeit nicht einzugreifen vermöge, auch erregten ihm die Spei- sen keinen Hunger und er begnügte sich, nur zum Schein etwas auf den Teller zu nehmen. Dort aber blieb es unberührt liegen, ungeachtet der Hof- schulze, der seine Kost nicht gern verschmäht sah, ihn mit einiger Empfindlichkeit nöthigte, auch zu essen. Das konnte er nicht, jedoch bestrebte er sich, leutselig zu seyn, denn zu diesem Ende und um das Volk, so viel an ihm war, durch hinrei-
chen; der Schreck erhielt ſeine Kehle in Trockniß trotz alles Gießens. So, zwiſchen Entſetzen und Appetit, glich er, wenn dieſes Gleichniß nicht zu niedrig klingt, dem Hunde, der vor einer erwiſch- ten Bratwurſt ſitzt, vor Wolluſt zittert, ſie zu ver- ſchlingen, und dabei ſcheu nach dem Herrn ſieht, der aus der Entfernung bereits mit der Peitſche herbeieilt.
Der vornehme Herr vom Hofe machte unter- deſſen vergebliche Verſuche, ſich herabzulaſſen, und gerieth darüber in Verlegenheit. Er ſaß zwiſchen dem Hofſchulzen und dem Diaconus, und hatte gegenüber zwei Bauerfrauen, die bei ihren Män- nern ſaßen. Als das gewaltige Eſſen begann, fühlte er wohl, daß er in dieſe Thätigkeit nicht einzugreifen vermöge, auch erregten ihm die Spei- ſen keinen Hunger und er begnügte ſich, nur zum Schein etwas auf den Teller zu nehmen. Dort aber blieb es unberührt liegen, ungeachtet der Hof- ſchulze, der ſeine Koſt nicht gern verſchmäht ſah, ihn mit einiger Empfindlichkeit nöthigte, auch zu eſſen. Das konnte er nicht, jedoch beſtrebte er ſich, leutſelig zu ſeyn, denn zu dieſem Ende und um das Volk, ſo viel an ihm war, durch hinrei-
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chen; der Schreck erhielt ſeine Kehle in Trockniß
trotz alles Gießens. So, zwiſchen Entſetzen und
Appetit, glich er, wenn dieſes Gleichniß nicht zu
niedrig klingt, dem Hunde, der vor einer erwiſch-
ten Bratwurſt ſitzt, vor Wolluſt zittert, ſie zu ver-
ſchlingen, und dabei ſcheu nach dem Herrn ſieht,
der aus der Entfernung bereits mit der Peitſche
herbeieilt.
Der vornehme Herr vom Hofe machte unter-
deſſen vergebliche Verſuche, ſich herabzulaſſen, und
gerieth darüber in Verlegenheit. Er ſaß zwiſchen
dem Hofſchulzen und dem Diaconus, und hatte
gegenüber zwei Bauerfrauen, die bei ihren Män-
nern ſaßen. Als das gewaltige Eſſen begann,
fühlte er wohl, daß er in dieſe Thätigkeit nicht
einzugreifen vermöge, auch erregten ihm die Spei-
ſen keinen Hunger und er begnügte ſich, nur zum
Schein etwas auf den Teller zu nehmen. Dort
aber blieb es unberührt liegen, ungeachtet der Hof-
ſchulze, der ſeine Koſt nicht gern verſchmäht ſah,
ihn mit einiger Empfindlichkeit nöthigte, auch zu
eſſen. Das konnte er nicht, jedoch beſtrebte er
ſich, leutſelig zu ſeyn, denn zu dieſem Ende und
um das Volk, ſo viel an ihm war, durch hinrei-
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/115>, abgerufen am 21.11.2024.
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