Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Im Oberhofe tosete das Tanzgelag. Alles
hatte sich nun nach dem Baumgarten gezogen, wo
man Lichter und Laternen angezündet hatte, weil
die Dämmerung bereits eingebrochen war. Die
Gäste, welche nicht tanzten, saßen und standen
umher. Lisbeth wurde durch den Lärmen zuerst
aus ihren Träumen geweckt, sie schlüpfte von der
Seitenpforte, durch welche sie wieder in den Hof
eintrat, rasch in das Haus, um nicht bemerkt und
dann wohl gar zum Tanze aufgefordert zu werden.

Sie ging nach ihrem Stüblein und zündete
arglos das Lämpchen an, obgleich sie sich hätte
sagen können, daß der Schein durch das Fenster
ihre Anwesenheit verrathen müsse. Aber sie hatte
zu diesem und allem Aehnlichen keine Ueberlegung.
Ihre Seele wallte, fluthete, es war ihr zu Muthe,
als stehe sie auf einem hohen Berge, rothe Wolken
zu ihren Füßen, rothe Wolken, so weit sie blickte,
und in der Ferne ragten goldene Kuppeln aus den
rothen Wolken hervor. Nun wußte sie, was Glück
ist, sie konnte es aber nicht aussprechen.

Sie setzte sich an das Tischchen im Fenster,
sah die Blumen an, die dort im Glase blühten,
dann hob sie ein Blatt der Lilie auf, welches ab-

Im Oberhofe toſete das Tanzgelag. Alles
hatte ſich nun nach dem Baumgarten gezogen, wo
man Lichter und Laternen angezündet hatte, weil
die Dämmerung bereits eingebrochen war. Die
Gäſte, welche nicht tanzten, ſaßen und ſtanden
umher. Lisbeth wurde durch den Lärmen zuerſt
aus ihren Träumen geweckt, ſie ſchlüpfte von der
Seitenpforte, durch welche ſie wieder in den Hof
eintrat, raſch in das Haus, um nicht bemerkt und
dann wohl gar zum Tanze aufgefordert zu werden.

Sie ging nach ihrem Stüblein und zündete
arglos das Lämpchen an, obgleich ſie ſich hätte
ſagen können, daß der Schein durch das Fenſter
ihre Anweſenheit verrathen müſſe. Aber ſie hatte
zu dieſem und allem Aehnlichen keine Ueberlegung.
Ihre Seele wallte, fluthete, es war ihr zu Muthe,
als ſtehe ſie auf einem hohen Berge, rothe Wolken
zu ihren Füßen, rothe Wolken, ſo weit ſie blickte,
und in der Ferne ragten goldene Kuppeln aus den
rothen Wolken hervor. Nun wußte ſie, was Glück
iſt, ſie konnte es aber nicht ausſprechen.

Sie ſetzte ſich an das Tiſchchen im Fenſter,
ſah die Blumen an, die dort im Glaſe blühten,
dann hob ſie ein Blatt der Lilie auf, welches ab-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0142" n="128"/>
          <p>Im Oberhofe to&#x017F;ete das Tanzgelag. Alles<lb/>
hatte &#x017F;ich nun nach dem Baumgarten gezogen, wo<lb/>
man Lichter und Laternen angezündet hatte, weil<lb/>
die Dämmerung bereits eingebrochen war. Die<lb/>&#x017F;te, welche nicht tanzten, &#x017F;aßen und &#x017F;tanden<lb/>
umher. Lisbeth wurde durch den Lärmen zuer&#x017F;t<lb/>
aus ihren Träumen geweckt, &#x017F;ie &#x017F;chlüpfte von der<lb/>
Seitenpforte, durch welche &#x017F;ie wieder in den Hof<lb/>
eintrat, ra&#x017F;ch in das Haus, um nicht bemerkt und<lb/>
dann wohl gar zum Tanze aufgefordert zu werden.</p><lb/>
          <p>Sie ging nach ihrem Stüblein und zündete<lb/>
arglos das Lämpchen an, obgleich &#x017F;ie &#x017F;ich hätte<lb/>
&#x017F;agen können, daß der Schein durch das Fen&#x017F;ter<lb/>
ihre Anwe&#x017F;enheit verrathen mü&#x017F;&#x017F;e. Aber &#x017F;ie hatte<lb/>
zu die&#x017F;em und allem Aehnlichen keine Ueberlegung.<lb/>
Ihre Seele wallte, fluthete, es war ihr zu Muthe,<lb/>
als &#x017F;tehe &#x017F;ie auf einem hohen Berge, rothe Wolken<lb/>
zu ihren Füßen, rothe Wolken, &#x017F;o weit &#x017F;ie blickte,<lb/>
und in der Ferne ragten goldene Kuppeln aus den<lb/>
rothen Wolken hervor. Nun wußte &#x017F;ie, was Glück<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;ie konnte es aber nicht aus&#x017F;prechen.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;etzte &#x017F;ich an das Ti&#x017F;chchen im Fen&#x017F;ter,<lb/>
&#x017F;ah die Blumen an, die dort im Gla&#x017F;e blühten,<lb/>
dann hob &#x017F;ie ein Blatt der Lilie auf, welches ab-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0142] Im Oberhofe toſete das Tanzgelag. Alles hatte ſich nun nach dem Baumgarten gezogen, wo man Lichter und Laternen angezündet hatte, weil die Dämmerung bereits eingebrochen war. Die Gäſte, welche nicht tanzten, ſaßen und ſtanden umher. Lisbeth wurde durch den Lärmen zuerſt aus ihren Träumen geweckt, ſie ſchlüpfte von der Seitenpforte, durch welche ſie wieder in den Hof eintrat, raſch in das Haus, um nicht bemerkt und dann wohl gar zum Tanze aufgefordert zu werden. Sie ging nach ihrem Stüblein und zündete arglos das Lämpchen an, obgleich ſie ſich hätte ſagen können, daß der Schein durch das Fenſter ihre Anweſenheit verrathen müſſe. Aber ſie hatte zu dieſem und allem Aehnlichen keine Ueberlegung. Ihre Seele wallte, fluthete, es war ihr zu Muthe, als ſtehe ſie auf einem hohen Berge, rothe Wolken zu ihren Füßen, rothe Wolken, ſo weit ſie blickte, und in der Ferne ragten goldene Kuppeln aus den rothen Wolken hervor. Nun wußte ſie, was Glück iſt, ſie konnte es aber nicht ausſprechen. Sie ſetzte ſich an das Tiſchchen im Fenſter, ſah die Blumen an, die dort im Glaſe blühten, dann hob ſie ein Blatt der Lilie auf, welches ab-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/142
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/142>, abgerufen am 21.11.2024.