hatte sie erstaunliche Dinge über fremde Völker und Länder herausgelesen, und sonderbare Vorgänge zu Wasser und zu Lande, und Alles hatte sie be- halten.
Wohl hatte der Diaconus Recht gehabt, als er die Lisbeth mit der Blume verglich, die in Dust und Moder erblüht war. Die Natur hatte an die- sem blonden Mädchen ihre Allmacht bewähren wol- len. Sie hatte sich in einem Maienrausche vorge- setzt, durch die That zu sprechen: Sehet da mein Werk! Eure Erziehung ist Stückerei und Flickerei. -- In der Seele dieses Mädchens war Alles neu, ganz, frisch, jungfräulich. Dieses Mädchen war verständig, wie ein Rechenmeister, und hatte mit den Bauern um den letzten Zinsgroschen sich ge- stritten, den sie ihrem Pflegevater verschaffen wollte, und dieses Mädchen war doch auch ganz lyrisch, ganz hingerissen, ganz quellendes und wiedergebä- rendes Empfangen. Ueber ihr Antlitz zogen die Geister der Dinge, die sie sah und hörte, ein sicht- barer Reigen. Wenn der Jäger ihr von den klu- gen Gesprächen der Weisen erzählte, so lag ein feines Verstehen um die Lippen, wenn er ihr sagte, daß Karl von Anjou mit finsterem unbeweglichem
hatte ſie erſtaunliche Dinge über fremde Völker und Länder herausgeleſen, und ſonderbare Vorgänge zu Waſſer und zu Lande, und Alles hatte ſie be- halten.
Wohl hatte der Diaconus Recht gehabt, als er die Lisbeth mit der Blume verglich, die in Duſt und Moder erblüht war. Die Natur hatte an die- ſem blonden Mädchen ihre Allmacht bewähren wol- len. Sie hatte ſich in einem Maienrauſche vorge- ſetzt, durch die That zu ſprechen: Sehet da mein Werk! Eure Erziehung iſt Stückerei und Flickerei. — In der Seele dieſes Mädchens war Alles neu, ganz, friſch, jungfräulich. Dieſes Mädchen war verſtändig, wie ein Rechenmeiſter, und hatte mit den Bauern um den letzten Zinsgroſchen ſich ge- ſtritten, den ſie ihrem Pflegevater verſchaffen wollte, und dieſes Mädchen war doch auch ganz lyriſch, ganz hingeriſſen, ganz quellendes und wiedergebä- rendes Empfangen. Ueber ihr Antlitz zogen die Geiſter der Dinge, die ſie ſah und hörte, ein ſicht- barer Reigen. Wenn der Jäger ihr von den klu- gen Geſprächen der Weiſen erzählte, ſo lag ein feines Verſtehen um die Lippen, wenn er ihr ſagte, daß Karl von Anjou mit finſterem unbeweglichem
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hatte ſie erſtaunliche Dinge über fremde Völker
und Länder herausgeleſen, und ſonderbare Vorgänge
zu Waſſer und zu Lande, und Alles hatte ſie be-
halten.
Wohl hatte der Diaconus Recht gehabt, als er
die Lisbeth mit der Blume verglich, die in Duſt
und Moder erblüht war. Die Natur hatte an die-
ſem blonden Mädchen ihre Allmacht bewähren wol-
len. Sie hatte ſich in einem Maienrauſche vorge-
ſetzt, durch die That zu ſprechen: Sehet da mein
Werk! Eure Erziehung iſt Stückerei und Flickerei.
— In der Seele dieſes Mädchens war Alles neu,
ganz, friſch, jungfräulich. Dieſes Mädchen war
verſtändig, wie ein Rechenmeiſter, und hatte mit
den Bauern um den letzten Zinsgroſchen ſich ge-
ſtritten, den ſie ihrem Pflegevater verſchaffen wollte,
und dieſes Mädchen war doch auch ganz lyriſch,
ganz hingeriſſen, ganz quellendes und wiedergebä-
rendes Empfangen. Ueber ihr Antlitz zogen die
Geiſter der Dinge, die ſie ſah und hörte, ein ſicht-
barer Reigen. Wenn der Jäger ihr von den klu-
gen Geſprächen der Weiſen erzählte, ſo lag ein
feines Verſtehen um die Lippen, wenn er ihr ſagte,
daß Karl von Anjou mit finſterem unbeweglichem
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/62>, abgerufen am 24.11.2024.
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