chen und sind doch, wo es auf etwas ankommt, immer ihre Kinder. Denn er wurde gleich ein Anderer, wenn er das Heiligthum betrat; zwischen dessen Wänden verschwand ihm die Kälte, er empfand das Evangelium in allen seinen Ausstrahlungen, Wundern und Widersprüchen als eine ewige That- sache, und als eine wirkliche, nicht als eine ge- machte. So war er denn nie in der Kirche Lip- pengläubiger, sondern erbaut, um Andere zu er- bauen.
Auch heute war er in den Gegenstand seiner Predigt fromm vertieft. Indessen störte ihn eini- germaßen der Küster, welcher, ohne noch dort ein Geschäft zu haben, auch in der Sakristei verweilte, seinen Oberen mit verlegenen Blicken anschaute und dazu unablässig seufzte. Der Diaconus sah sich endlich genöthigt, ihn zu fragen, was dies zu bedeuten habe?
Beklemmung, Beängstigung, ein ungemeines Blutwallen und Zudringen der Säfte nach dem Kopfe hat es zu bedeuten, Herr Diaconus, ver- setzte der seufzende Küster.
Es ist nicht zu verwundern, daß Ihr beklom- men seid, antwortete lächelnd der Diaconus. Dieses
chen und ſind doch, wo es auf etwas ankommt, immer ihre Kinder. Denn er wurde gleich ein Anderer, wenn er das Heiligthum betrat; zwiſchen deſſen Wänden verſchwand ihm die Kälte, er empfand das Evangelium in allen ſeinen Ausſtrahlungen, Wundern und Widerſprüchen als eine ewige That- ſache, und als eine wirkliche, nicht als eine ge- machte. So war er denn nie in der Kirche Lip- pengläubiger, ſondern erbaut, um Andere zu er- bauen.
Auch heute war er in den Gegenſtand ſeiner Predigt fromm vertieft. Indeſſen ſtörte ihn eini- germaßen der Küſter, welcher, ohne noch dort ein Geſchäft zu haben, auch in der Sakriſtei verweilte, ſeinen Oberen mit verlegenen Blicken anſchaute und dazu unabläſſig ſeufzte. Der Diaconus ſah ſich endlich genöthigt, ihn zu fragen, was dies zu bedeuten habe?
Beklemmung, Beängſtigung, ein ungemeines Blutwallen und Zudringen der Säfte nach dem Kopfe hat es zu bedeuten, Herr Diaconus, ver- ſetzte der ſeufzende Küſter.
Es iſt nicht zu verwundern, daß Ihr beklom- men ſeid, antwortete lächelnd der Diaconus. Dieſes
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chen und ſind doch, wo es auf etwas ankommt,
immer ihre Kinder. Denn er wurde gleich ein
Anderer, wenn er das Heiligthum betrat; zwiſchen
deſſen Wänden verſchwand ihm die Kälte, er empfand
das Evangelium in allen ſeinen Ausſtrahlungen,
Wundern und Widerſprüchen als eine ewige That-
ſache, und als eine wirkliche, nicht als eine ge-
machte. So war er denn nie in der Kirche Lip-
pengläubiger, ſondern erbaut, um Andere zu er-
bauen.
Auch heute war er in den Gegenſtand ſeiner
Predigt fromm vertieft. Indeſſen ſtörte ihn eini-
germaßen der Küſter, welcher, ohne noch dort ein
Geſchäft zu haben, auch in der Sakriſtei verweilte,
ſeinen Oberen mit verlegenen Blicken anſchaute
und dazu unabläſſig ſeufzte. Der Diaconus ſah
ſich endlich genöthigt, ihn zu fragen, was dies zu
bedeuten habe?
Beklemmung, Beängſtigung, ein ungemeines
Blutwallen und Zudringen der Säfte nach dem
Kopfe hat es zu bedeuten, Herr Diaconus, ver-
ſetzte der ſeufzende Küſter.
Es iſt nicht zu verwundern, daß Ihr beklom-
men ſeid, antwortete lächelnd der Diaconus. Dieſes
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/74>, abgerufen am 24.11.2024.
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