Treppe zu einer oberen Prieche hinaufgegangen. Dort setzte er sich auf einen Schemel ungesehen von den Andern, abgewendet von ihnen und von dem Altare, ganz für sich und allein. Er schlug sein Gesicht in seine Hand, aber das konnte er nicht lange ertragen, die Wange und Stirn glühte ihm zu stark. Das Kirchenlied drunten fiel mit seinen ernstgezogenen Tönen wie ein kühlender Thau in seine Gluth, er dankte Gott, daß end- lich, endlich ihm das größte Glück beschieden sei, und in die frommen Worte da unten sang er un- aufhörlich seine weltlichen Verse hinein:
In deinem Ernst, in deinem Lachen Gehörst du dir nach holdem Rechte! ...
Ein kleines Kind, welches sich neugierig herauf- geschlichen hatte, nahm er sanft bei der Hand und streichelte diese. Dann wollte er ihm Geld geben, aber er ließ es seyn, drückte es an sich und küßte ihm die Stirn. Und als das Kind, ängstlich von den heißen Liebkosungen, die Treppe hinuntergehen wollte, führte er es sacht hinab, daß es nicht falle. Dann kehrte er zu seinem Sitze zurück und hörte nichts von der Rede und nichts von dem Lärmen, der ihr folgte, in tiefe, selige Träume versunken,
Treppe zu einer oberen Prieche hinaufgegangen. Dort ſetzte er ſich auf einen Schemel ungeſehen von den Andern, abgewendet von ihnen und von dem Altare, ganz für ſich und allein. Er ſchlug ſein Geſicht in ſeine Hand, aber das konnte er nicht lange ertragen, die Wange und Stirn glühte ihm zu ſtark. Das Kirchenlied drunten fiel mit ſeinen ernſtgezogenen Tönen wie ein kühlender Thau in ſeine Gluth, er dankte Gott, daß end- lich, endlich ihm das größte Glück beſchieden ſei, und in die frommen Worte da unten ſang er un- aufhörlich ſeine weltlichen Verſe hinein:
In deinem Ernſt, in deinem Lachen Gehörſt du dir nach holdem Rechte! …
Ein kleines Kind, welches ſich neugierig herauf- geſchlichen hatte, nahm er ſanft bei der Hand und ſtreichelte dieſe. Dann wollte er ihm Geld geben, aber er ließ es ſeyn, drückte es an ſich und küßte ihm die Stirn. Und als das Kind, ängſtlich von den heißen Liebkoſungen, die Treppe hinuntergehen wollte, führte er es ſacht hinab, daß es nicht falle. Dann kehrte er zu ſeinem Sitze zurück und hörte nichts von der Rede und nichts von dem Lärmen, der ihr folgte, in tiefe, ſelige Träume verſunken,
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Treppe zu einer oberen Prieche hinaufgegangen.
Dort ſetzte er ſich auf einen Schemel ungeſehen
von den Andern, abgewendet von ihnen und von
dem Altare, ganz für ſich und allein. Er ſchlug
ſein Geſicht in ſeine Hand, aber das konnte er
nicht lange ertragen, die Wange und Stirn
glühte ihm zu ſtark. Das Kirchenlied drunten fiel
mit ſeinen ernſtgezogenen Tönen wie ein kühlender
Thau in ſeine Gluth, er dankte Gott, daß end-
lich, endlich ihm das größte Glück beſchieden ſei,
und in die frommen Worte da unten ſang er un-
aufhörlich ſeine weltlichen Verſe hinein:
In deinem Ernſt, in deinem Lachen
Gehörſt du dir nach holdem Rechte! …
Ein kleines Kind, welches ſich neugierig herauf-
geſchlichen hatte, nahm er ſanft bei der Hand und
ſtreichelte dieſe. Dann wollte er ihm Geld geben,
aber er ließ es ſeyn, drückte es an ſich und küßte
ihm die Stirn. Und als das Kind, ängſtlich von
den heißen Liebkoſungen, die Treppe hinuntergehen
wollte, führte er es ſacht hinab, daß es nicht falle.
Dann kehrte er zu ſeinem Sitze zurück und hörte
nichts von der Rede und nichts von dem Lärmen,
der ihr folgte, in tiefe, ſelige Träume verſunken,
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/85>, abgerufen am 24.11.2024.
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