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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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lassen. Dazu sah er sie mit einem Blicke an, daß,
wenn zwölf Zeugen von ihm vor dem Richter aus-
gesagt hätten: Diesen haben wir morden sehen,
und er mit einem solchen Blicke seine Unschuld
versichert hätte, der Richter ihm und nicht den
zwölf Zeugen geglaubt haben würde.

Ein zärtliches Mädchen ist ein gläubiger Rich-
ter in solchen Dingen. -- Lisbeth folgte seinen Ge-
bärden mit der Aufmerksamkeit bräutlicher Liebe
und als sie den Sinn gefaßt hatte, da sagte sie
weiter nichts als: Ah! -- Aber in diesem Laute
war alle Wonne, die seit dem Anfang der Zeiten
in menschlichen Herzen gewallt hatte. Es war
ihr, als sei sie auf dem Hochgerichte, wo man sie
unschuldig hinrichten wollen, begnadiget worden;
bei lebendigem Leibe war sie in den Himmel er-
hoben worden, in den Himmel seiner unbefleckt-
gebliebenen Liebe. -- O mein Gott! sagte sie und
konnte sonst nichts vorbringen. Ein Zittern der
Entzückung durchflog ihren Körper, sie meinte zu
sinken und den geliebten Freund aus ihren Armen
zu verlieren. Da nahm sie sich zusammen, um
nicht durch ihre Unruhe ihm zu schaden. Nun
wußte sie, daß sie seine Frau Gräfin werde, wenn

laſſen. Dazu ſah er ſie mit einem Blicke an, daß,
wenn zwölf Zeugen von ihm vor dem Richter aus-
geſagt hätten: Dieſen haben wir morden ſehen,
und er mit einem ſolchen Blicke ſeine Unſchuld
verſichert hätte, der Richter ihm und nicht den
zwölf Zeugen geglaubt haben würde.

Ein zärtliches Mädchen iſt ein gläubiger Rich-
ter in ſolchen Dingen. — Lisbeth folgte ſeinen Ge-
bärden mit der Aufmerkſamkeit bräutlicher Liebe
und als ſie den Sinn gefaßt hatte, da ſagte ſie
weiter nichts als: Ah! — Aber in dieſem Laute
war alle Wonne, die ſeit dem Anfang der Zeiten
in menſchlichen Herzen gewallt hatte. Es war
ihr, als ſei ſie auf dem Hochgerichte, wo man ſie
unſchuldig hinrichten wollen, begnadiget worden;
bei lebendigem Leibe war ſie in den Himmel er-
hoben worden, in den Himmel ſeiner unbefleckt-
gebliebenen Liebe. — O mein Gott! ſagte ſie und
konnte ſonſt nichts vorbringen. Ein Zittern der
Entzückung durchflog ihren Körper, ſie meinte zu
ſinken und den geliebten Freund aus ihren Armen
zu verlieren. Da nahm ſie ſich zuſammen, um
nicht durch ihre Unruhe ihm zu ſchaden. Nun
wußte ſie, daß ſie ſeine Frau Gräfin werde, wenn

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[170/0182] laſſen. Dazu ſah er ſie mit einem Blicke an, daß, wenn zwölf Zeugen von ihm vor dem Richter aus- geſagt hätten: Dieſen haben wir morden ſehen, und er mit einem ſolchen Blicke ſeine Unſchuld verſichert hätte, der Richter ihm und nicht den zwölf Zeugen geglaubt haben würde. Ein zärtliches Mädchen iſt ein gläubiger Rich- ter in ſolchen Dingen. — Lisbeth folgte ſeinen Ge- bärden mit der Aufmerkſamkeit bräutlicher Liebe und als ſie den Sinn gefaßt hatte, da ſagte ſie weiter nichts als: Ah! — Aber in dieſem Laute war alle Wonne, die ſeit dem Anfang der Zeiten in menſchlichen Herzen gewallt hatte. Es war ihr, als ſei ſie auf dem Hochgerichte, wo man ſie unſchuldig hinrichten wollen, begnadiget worden; bei lebendigem Leibe war ſie in den Himmel er- hoben worden, in den Himmel ſeiner unbefleckt- gebliebenen Liebe. — O mein Gott! ſagte ſie und konnte ſonſt nichts vorbringen. Ein Zittern der Entzückung durchflog ihren Körper, ſie meinte zu ſinken und den geliebten Freund aus ihren Armen zu verlieren. Da nahm ſie ſich zuſammen, um nicht durch ihre Unruhe ihm zu ſchaden. Nun wußte ſie, daß ſie ſeine Frau Gräfin werde, wenn

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/182>, abgerufen am 25.11.2024.