Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

hatten und auch unter solchen Umständen nicht ler-
nen können, mit einander vertraut zu seyn -- denn
auch das ächte Vertrauen will gelernt werden.
Daher kommt es denn, daß die Meisten einander
zu fremd und doch zu nahe in den Ehestand treten.
Und so entsteht die trübe und unreine Gestalt
vieler Ehen. In manchem Zufälligen hatten die
Verbundenen das Wesenhafte zu finden gewähnt,
das nimmt Abschied, und nun klagen sie über bittere
Enttäuschungen, wo sie im Gegentheil sich vielleicht
der Entfaltung eines Wesenhaftesten zu erfreuen
hätten.

Unser Paar wurde durch anscheinendes Mißge-
schick über diese gefährliche Sandbank des Lebens
hinübergespült. Draußen, in Wald und Feld,
außer dem Pferch der Civilisation hatten sie ein-
ander gefunden, hatten einander vor aller Bekannt-
schaft geliebt, der Blitz der Ahnung hatte dem
Einen des Andern ewiges Seyn und Werden er-
leuchtet. Aber nun galt es, den kostbaren Gewinn
für die Erde zu festigen. An dem Tage ihres
Bundes wurden sie getrennt! Trauriges Loos,
glückseliges Loos! In Sehnsucht und Wehmuth,
in zartem Harren und Darben lernte nun Eines

Immermann's Münchhausen. 4. Th. 20

hatten und auch unter ſolchen Umſtänden nicht ler-
nen können, mit einander vertraut zu ſeyn — denn
auch das ächte Vertrauen will gelernt werden.
Daher kommt es denn, daß die Meiſten einander
zu fremd und doch zu nahe in den Eheſtand treten.
Und ſo entſteht die trübe und unreine Geſtalt
vieler Ehen. In manchem Zufälligen hatten die
Verbundenen das Weſenhafte zu finden gewähnt,
das nimmt Abſchied, und nun klagen ſie über bittere
Enttäuſchungen, wo ſie im Gegentheil ſich vielleicht
der Entfaltung eines Weſenhafteſten zu erfreuen
hätten.

Unſer Paar wurde durch anſcheinendes Mißge-
ſchick über dieſe gefährliche Sandbank des Lebens
hinübergeſpült. Draußen, in Wald und Feld,
außer dem Pferch der Civiliſation hatten ſie ein-
ander gefunden, hatten einander vor aller Bekannt-
ſchaft geliebt, der Blitz der Ahnung hatte dem
Einen des Andern ewiges Seyn und Werden er-
leuchtet. Aber nun galt es, den koſtbaren Gewinn
für die Erde zu feſtigen. An dem Tage ihres
Bundes wurden ſie getrennt! Trauriges Loos,
glückſeliges Loos! In Sehnſucht und Wehmuth,
in zartem Harren und Darben lernte nun Eines

Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0317" n="305"/>
hatten und auch unter &#x017F;olchen Um&#x017F;tänden nicht ler-<lb/>
nen können, mit einander vertraut zu &#x017F;eyn &#x2014; denn<lb/>
auch das ächte Vertrauen will gelernt werden.<lb/>
Daher kommt es denn, daß die Mei&#x017F;ten einander<lb/>
zu fremd und doch zu nahe in den Ehe&#x017F;tand treten.<lb/>
Und &#x017F;o ent&#x017F;teht die trübe und unreine Ge&#x017F;talt<lb/>
vieler Ehen. In manchem Zufälligen hatten die<lb/>
Verbundenen das We&#x017F;enhafte zu finden gewähnt,<lb/>
das nimmt Ab&#x017F;chied, und nun klagen &#x017F;ie über bittere<lb/>
Enttäu&#x017F;chungen, wo &#x017F;ie im Gegentheil &#x017F;ich vielleicht<lb/>
der Entfaltung eines We&#x017F;enhafte&#x017F;ten zu erfreuen<lb/>
hätten.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;er Paar wurde durch an&#x017F;cheinendes Mißge-<lb/>
&#x017F;chick über die&#x017F;e gefährliche Sandbank des Lebens<lb/>
hinüberge&#x017F;pült. Draußen, in Wald und Feld,<lb/>
außer dem Pferch der Civili&#x017F;ation hatten &#x017F;ie ein-<lb/>
ander gefunden, hatten einander vor aller Bekannt-<lb/>
&#x017F;chaft geliebt, der Blitz der Ahnung hatte dem<lb/>
Einen des Andern ewiges Seyn und Werden er-<lb/>
leuchtet. Aber nun galt es, den ko&#x017F;tbaren Gewinn<lb/>
für die Erde zu fe&#x017F;tigen. An dem Tage ihres<lb/>
Bundes wurden &#x017F;ie getrennt! Trauriges Loos,<lb/>
glück&#x017F;eliges Loos! In Sehn&#x017F;ucht und Wehmuth,<lb/>
in zartem Harren und Darben lernte nun Eines<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Immermann&#x2019;s Münchhau&#x017F;en. 4. Th. 20</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0317] hatten und auch unter ſolchen Umſtänden nicht ler- nen können, mit einander vertraut zu ſeyn — denn auch das ächte Vertrauen will gelernt werden. Daher kommt es denn, daß die Meiſten einander zu fremd und doch zu nahe in den Eheſtand treten. Und ſo entſteht die trübe und unreine Geſtalt vieler Ehen. In manchem Zufälligen hatten die Verbundenen das Weſenhafte zu finden gewähnt, das nimmt Abſchied, und nun klagen ſie über bittere Enttäuſchungen, wo ſie im Gegentheil ſich vielleicht der Entfaltung eines Weſenhafteſten zu erfreuen hätten. Unſer Paar wurde durch anſcheinendes Mißge- ſchick über dieſe gefährliche Sandbank des Lebens hinübergeſpült. Draußen, in Wald und Feld, außer dem Pferch der Civiliſation hatten ſie ein- ander gefunden, hatten einander vor aller Bekannt- ſchaft geliebt, der Blitz der Ahnung hatte dem Einen des Andern ewiges Seyn und Werden er- leuchtet. Aber nun galt es, den koſtbaren Gewinn für die Erde zu feſtigen. An dem Tage ihres Bundes wurden ſie getrennt! Trauriges Loos, glückſeliges Loos! In Sehnſucht und Wehmuth, in zartem Harren und Darben lernte nun Eines Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/317
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/317>, abgerufen am 25.11.2024.