tiger Augenmörder! rufe ich, und stoße so lange den Bengel mit dem Kopf gegen den Stein hier, bis er stumm wird. Einen Ohrring hatte ich ihm bei der Balgerei abgerissen (denn er trug welche) den hielt ich in der Hand, wußte nicht, was da- mit anfangen, konnte ihn freilich nur wegwerfen, aber der Mensch ist bei solcher Gelegenheit wie von sich; unter dem Stein habe ich den Ring ver- scharrt, soll mich wundern, ob er noch da liegt?
Der Patriotencaspar, welcher den letzten Theil der Erzählung mit so lebendigen Gebärden vorge- bracht hatte, daß seinem alten Zuhörer ein Schau- der über die Haut rieselte, wälzte trotz seiner anscheinenden Kraftlosigkeit den Stein hinweg, kratzte etwas in der Erde darunter und zog mit einem gellenden Freudengeschrei, als habe er den köstlich- sten Schatz entdeckt, einen Ohrring hervor, der nicht verrostet war, weil er stark vergoldet gewe- sen seyn mochte. Ei, wie so ein Ding übrig bleibt, wenn der Mensch längst verrottet ist! rief er, und gab den Ring dem alten Schmitz, der ihn nur zagend annahm.
Als ich nun dem Fritze das Seinige gereicht hatte, ließ ich ihn liegen und ging nach Hause,
tiger Augenmörder! rufe ich, und ſtoße ſo lange den Bengel mit dem Kopf gegen den Stein hier, bis er ſtumm wird. Einen Ohrring hatte ich ihm bei der Balgerei abgeriſſen (denn er trug welche) den hielt ich in der Hand, wußte nicht, was da- mit anfangen, konnte ihn freilich nur wegwerfen, aber der Menſch iſt bei ſolcher Gelegenheit wie von ſich; unter dem Stein habe ich den Ring ver- ſcharrt, ſoll mich wundern, ob er noch da liegt?
Der Patriotencaspar, welcher den letzten Theil der Erzählung mit ſo lebendigen Gebärden vorge- bracht hatte, daß ſeinem alten Zuhörer ein Schau- der über die Haut rieſelte, wälzte trotz ſeiner anſcheinenden Kraftloſigkeit den Stein hinweg, kratzte etwas in der Erde darunter und zog mit einem gellenden Freudengeſchrei, als habe er den köſtlich- ſten Schatz entdeckt, einen Ohrring hervor, der nicht verroſtet war, weil er ſtark vergoldet gewe- ſen ſeyn mochte. Ei, wie ſo ein Ding übrig bleibt, wenn der Menſch längſt verrottet iſt! rief er, und gab den Ring dem alten Schmitz, der ihn nur zagend annahm.
Als ich nun dem Fritze das Seinige gereicht hatte, ließ ich ihn liegen und ging nach Hauſe,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0067"n="55"/>
tiger Augenmörder! rufe ich, und ſtoße ſo lange<lb/>
den Bengel mit dem Kopf gegen den Stein hier,<lb/>
bis er ſtumm wird. Einen Ohrring hatte ich ihm<lb/>
bei der Balgerei abgeriſſen (denn er trug welche)<lb/>
den hielt ich in der Hand, wußte nicht, was da-<lb/>
mit anfangen, konnte ihn freilich nur wegwerfen,<lb/>
aber der Menſch iſt bei ſolcher Gelegenheit wie<lb/>
von ſich; unter dem Stein habe ich den Ring ver-<lb/>ſcharrt, ſoll mich wundern, ob er noch da liegt?</p><lb/><p>Der Patriotencaspar, welcher den letzten Theil<lb/>
der Erzählung mit ſo lebendigen Gebärden vorge-<lb/>
bracht hatte, daß ſeinem alten Zuhörer ein Schau-<lb/>
der über die Haut rieſelte, wälzte trotz ſeiner<lb/>
anſcheinenden Kraftloſigkeit den Stein hinweg, kratzte<lb/>
etwas in der Erde darunter und zog mit einem<lb/>
gellenden Freudengeſchrei, als habe er den köſtlich-<lb/>ſten Schatz entdeckt, einen Ohrring hervor, der<lb/>
nicht verroſtet war, weil er ſtark vergoldet gewe-<lb/>ſen ſeyn mochte. Ei, wie ſo ein Ding übrig<lb/>
bleibt, wenn der Menſch längſt verrottet iſt! rief<lb/>
er, und gab den Ring dem alten Schmitz, der ihn<lb/>
nur zagend annahm.</p><lb/><p>Als ich nun dem Fritze das Seinige gereicht<lb/>
hatte, ließ ich ihn liegen und ging nach Hauſe,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[55/0067]
tiger Augenmörder! rufe ich, und ſtoße ſo lange
den Bengel mit dem Kopf gegen den Stein hier,
bis er ſtumm wird. Einen Ohrring hatte ich ihm
bei der Balgerei abgeriſſen (denn er trug welche)
den hielt ich in der Hand, wußte nicht, was da-
mit anfangen, konnte ihn freilich nur wegwerfen,
aber der Menſch iſt bei ſolcher Gelegenheit wie
von ſich; unter dem Stein habe ich den Ring ver-
ſcharrt, ſoll mich wundern, ob er noch da liegt?
Der Patriotencaspar, welcher den letzten Theil
der Erzählung mit ſo lebendigen Gebärden vorge-
bracht hatte, daß ſeinem alten Zuhörer ein Schau-
der über die Haut rieſelte, wälzte trotz ſeiner
anſcheinenden Kraftloſigkeit den Stein hinweg, kratzte
etwas in der Erde darunter und zog mit einem
gellenden Freudengeſchrei, als habe er den köſtlich-
ſten Schatz entdeckt, einen Ohrring hervor, der
nicht verroſtet war, weil er ſtark vergoldet gewe-
ſen ſeyn mochte. Ei, wie ſo ein Ding übrig
bleibt, wenn der Menſch längſt verrottet iſt! rief
er, und gab den Ring dem alten Schmitz, der ihn
nur zagend annahm.
Als ich nun dem Fritze das Seinige gereicht
hatte, ließ ich ihn liegen und ging nach Hauſe,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/67>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.