Eine Liebe ist dem Menschen gegeben, die den Tod unter die Füße tritt; keinen Schmerz achtet und keine Lust. Ihr Saame geht auf in der Anschauung, Bewunderung und Ach- tung eines Andern. Alsdann verliert der Mensch sein Leben, um es zu gewinnen. Es erwacht der Instinkt seiner vernünftigen Na- tur, welcher nicht die Seele des Leibes, son- dern des Geistes Seele zu erhalten, empor zu bringen, herrschend zu machen strebt. Und hiemit, mit der Einsetzung einer Liebe, die den Tod überwindet und Unsterblichkeit ge- biert, hat die Welt angefangen.
Die Geheimnisse der Liebe und des Lebens durchdringt kein menschlicher Blick. Alles reg- same Daseyn fängt mit einer Begierde an, die ihren Gegenstand nicht kennt. Später, und nur hie und da lüftet der leitende Trieb ein wenig seinen dichten Schleyer. Aber jedes Leben, auch das dunkelste, fodert seine Erhal- tung mit einem Nachdrucke, der sein Recht ist. Der Nachdruck des am tiefsten verborge-
Eine Liebe iſt dem Menſchen gegeben, die den Tod unter die Fuͤße tritt; keinen Schmerz achtet und keine Luſt. Ihr Saame geht auf in der Anſchauung, Bewunderung und Ach- tung eines Andern. Alsdann verliert der Menſch ſein Leben, um es zu gewinnen. Es erwacht der Inſtinkt ſeiner vernuͤnftigen Na- tur, welcher nicht die Seele des Leibes, ſon- dern des Geiſtes Seele zu erhalten, empor zu bringen, herrſchend zu machen ſtrebt. Und hiemit, mit der Einſetzung einer Liebe, die den Tod uͤberwindet und Unſterblichkeit ge- biert, hat die Welt angefangen.
Die Geheimniſſe der Liebe und des Lebens durchdringt kein menſchlicher Blick. Alles reg- ſame Daſeyn faͤngt mit einer Begierde an, die ihren Gegenſtand nicht kennt. Spaͤter, und nur hie und da luͤftet der leitende Trieb ein wenig ſeinen dichten Schleyer. Aber jedes Leben, auch das dunkelſte, fodert ſeine Erhal- tung mit einem Nachdrucke, der ſein Recht iſt. Der Nachdruck des am tiefſten verborge-
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Eine Liebe iſt dem Menſchen gegeben, die
den Tod unter die Fuͤße tritt; keinen Schmerz
achtet und keine Luſt. Ihr Saame geht auf
in der Anſchauung, Bewunderung und Ach-
tung eines Andern. Alsdann verliert der
Menſch ſein Leben, um es zu gewinnen. Es
erwacht der Inſtinkt ſeiner vernuͤnftigen Na-
tur, welcher nicht die Seele des Leibes, ſon-
dern des Geiſtes Seele zu erhalten, empor
zu bringen, herrſchend zu machen ſtrebt.
Und hiemit, mit der Einſetzung einer Liebe,
die den Tod uͤberwindet und Unſterblichkeit ge-
biert, hat die Welt angefangen.
Die Geheimniſſe der Liebe und des Lebens
durchdringt kein menſchlicher Blick. Alles reg-
ſame Daſeyn faͤngt mit einer Begierde an, die
ihren Gegenſtand nicht kennt. Spaͤter, und
nur hie und da luͤftet der leitende Trieb ein
wenig ſeinen dichten Schleyer. Aber jedes
Leben, auch das dunkelſte, fodert ſeine Erhal-
tung mit einem Nachdrucke, der ſein Recht
iſt. Der Nachdruck des am tiefſten verborge-
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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