Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Rechte mehr haben. Der ganze Mensch, sei-
nem sittlichen Theile nach, ist Poesie gewor-
den; und es kann dahin mit ihm kommen, daß
er alle Wahrheit verliert, und keine ehrliche
Faser an ihm bleibt. Die Vollkommenheit die-
ses Zustandes ist ein eigentlicher Mysticismus
der Gesetzesfeindschaft, und ein Quietismus
der Unsittlichkeit.

Unter den Egoisten machen diese Zauberer
eine eigene Classe aus.

Jede leidenschaftliche Bewegung ist, ihrer Na-
tur nach, eigensüchtig. Daher kann man in der
Regel annehmen, daß überhaupt der empfind-
samere Mensch, als solcher, auch der ei-
gensüchtigere ist. Nicht, daß er es wollte; im
Gegentheil: er möchte gern sich aufopfern;
aber er kann nicht, weil er so über alle Maaßen
zuerst von sich selbst gerührt ist. Verstehe
mich wohl! Die blos empfindsamen, als solche,

Rechte mehr haben. Der ganze Menſch, ſei-
nem ſittlichen Theile nach, iſt Poeſie gewor-
den; und es kann dahin mit ihm kommen, daß
er alle Wahrheit verliert, und keine ehrliche
Faſer an ihm bleibt. Die Vollkommenheit die-
ſes Zuſtandes iſt ein eigentlicher Myſticismus
der Geſetzesfeindſchaft, und ein Quietismus
der Unſittlichkeit.

Unter den Egoiſten machen dieſe Zauberer
eine eigene Claſſe aus.

Jede leidenſchaftliche Bewegung iſt, ihrer Na-
tur nach, eigenſuͤchtig. Daher kann man in der
Regel annehmen, daß uͤberhaupt der empfind-
ſamere Menſch, als ſolcher, auch der ei-
genſuͤchtigere iſt. Nicht, daß er es wollte; im
Gegentheil: er moͤchte gern ſich aufopfern;
aber er kann nicht, weil er ſo uͤber alle Maaßen
zuerſt von ſich ſelbſt geruͤhrt iſt. Verſtehe
mich wohl! Die blos empfindſamen, als ſolche,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div>
            <p><pb facs="#f0258" n="220"/>
Rechte mehr haben. Der ganze Men&#x017F;ch, &#x017F;ei-<lb/>
nem &#x017F;ittlichen Theile nach, i&#x017F;t <hi rendition="#g">Poe&#x017F;ie</hi> gewor-<lb/>
den; und es kann dahin mit ihm kommen, daß<lb/>
er alle Wahrheit verliert, und keine ehrliche<lb/>
Fa&#x017F;er an ihm bleibt. Die Vollkommenheit die-<lb/>
&#x017F;es Zu&#x017F;tandes i&#x017F;t ein eigentlicher My&#x017F;ticismus<lb/>
der Ge&#x017F;etzesfeind&#x017F;chaft, und ein Quietismus<lb/>
der Un&#x017F;ittlichkeit.</p><lb/>
            <p>Unter den Egoi&#x017F;ten machen die&#x017F;e Zauberer<lb/>
eine eigene Cla&#x017F;&#x017F;e aus.</p><lb/>
            <p>Jede leiden&#x017F;chaftliche Bewegung i&#x017F;t, ihrer Na-<lb/>
tur nach, eigen&#x017F;u&#x0364;chtig. Daher kann man in der<lb/>
Regel annehmen, daß u&#x0364;berhaupt der empfind-<lb/>
&#x017F;amere Men&#x017F;ch, <hi rendition="#g">als &#x017F;olcher</hi>, auch der ei-<lb/>
gen&#x017F;u&#x0364;chtigere i&#x017F;t. Nicht, daß er es wollte; im<lb/>
Gegentheil: er mo&#x0364;chte gern &#x017F;ich aufopfern;<lb/>
aber er kann nicht, weil er &#x017F;o u&#x0364;ber alle Maaßen<lb/><hi rendition="#g">zuer&#x017F;t</hi> von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t geru&#x0364;hrt i&#x017F;t. Ver&#x017F;tehe<lb/>
mich wohl! Die blos empfind&#x017F;amen, als &#x017F;olche,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0258] Rechte mehr haben. Der ganze Menſch, ſei- nem ſittlichen Theile nach, iſt Poeſie gewor- den; und es kann dahin mit ihm kommen, daß er alle Wahrheit verliert, und keine ehrliche Faſer an ihm bleibt. Die Vollkommenheit die- ſes Zuſtandes iſt ein eigentlicher Myſticismus der Geſetzesfeindſchaft, und ein Quietismus der Unſittlichkeit. Unter den Egoiſten machen dieſe Zauberer eine eigene Claſſe aus. Jede leidenſchaftliche Bewegung iſt, ihrer Na- tur nach, eigenſuͤchtig. Daher kann man in der Regel annehmen, daß uͤberhaupt der empfind- ſamere Menſch, als ſolcher, auch der ei- genſuͤchtigere iſt. Nicht, daß er es wollte; im Gegentheil: er moͤchte gern ſich aufopfern; aber er kann nicht, weil er ſo uͤber alle Maaßen zuerſt von ſich ſelbſt geruͤhrt iſt. Verſtehe mich wohl! Die blos empfindſamen, als ſolche,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/258
Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/258>, abgerufen am 23.11.2024.