Federkraft der Sittlichkeit in ihnen ist so gut als todt.
Ich würde mich nicht enthalten können, noch schlimmeres zu sagen, wenn ich nicht ab- bräche.
Was Euren Eduard angeht, so genügt mir an Deinem Mißtrauen gegen ihn; Du wirst mir die Mädchen schon verwahren. Wegen Clärchen hat es ohnedem nicht leicht Gefahr; die sieht so hell und kann mit auf Lenore Acht geben. Und so mag Clerdon denn nur immer beschönigen. Wie er es mit diesem jungen Lieblinge treibt, hat er es von jeher mit allen Menschen getrieben, woran er einen etwas lebhaften Antheil nahm. Es scheint, daß je geschickter wir sind, alle Falten des mensch- lichen Herzens zu durchdringen, desto fertiger sind wir auch, uns in jedem Einzelnen Falle zu täuschen. Wir erdichten Menschen, so, daß man glaubt, sie müßten irgendwo vor- handen seyn; und wieder, aus den wirklichen
Federkraft der Sittlichkeit in ihnen iſt ſo gut als todt.
Ich wuͤrde mich nicht enthalten koͤnnen, noch ſchlimmeres zu ſagen, wenn ich nicht ab- braͤche.
Was Euren Eduard angeht, ſo genuͤgt mir an Deinem Mißtrauen gegen ihn; Du wirſt mir die Maͤdchen ſchon verwahren. Wegen Claͤrchen hat es ohnedem nicht leicht Gefahr; die ſieht ſo hell und kann mit auf Lenore Acht geben. Und ſo mag Clerdon denn nur immer beſchoͤnigen. Wie er es mit dieſem jungen Lieblinge treibt, hat er es von jeher mit allen Menſchen getrieben, woran er einen etwas lebhaften Antheil nahm. Es ſcheint, daß je geſchickter wir ſind, alle Falten des menſch- lichen Herzens zu durchdringen, deſto fertiger ſind wir auch, uns in jedem Einzelnen Falle zu taͤuſchen. Wir erdichten Menſchen, ſo, daß man glaubt, ſie muͤßten irgendwo vor- handen ſeyn; und wieder, aus den wirklichen
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Federkraft der Sittlichkeit in ihnen iſt ſo gut
als todt.
Ich wuͤrde mich nicht enthalten koͤnnen,
noch ſchlimmeres zu ſagen, wenn ich nicht ab-
braͤche.
Was Euren Eduard angeht, ſo genuͤgt mir
an Deinem Mißtrauen gegen ihn; Du wirſt
mir die Maͤdchen ſchon verwahren. Wegen
Claͤrchen hat es ohnedem nicht leicht Gefahr;
die ſieht ſo hell und kann mit auf Lenore Acht
geben. Und ſo mag Clerdon denn nur immer
beſchoͤnigen. Wie er es mit dieſem jungen
Lieblinge treibt, hat er es von jeher mit allen
Menſchen getrieben, woran er einen etwas
lebhaften Antheil nahm. Es ſcheint, daß je
geſchickter wir ſind, alle Falten des menſch-
lichen Herzens zu durchdringen, deſto fertiger
ſind wir auch, uns in jedem Einzelnen Falle
zu taͤuſchen. Wir erdichten Menſchen, ſo,
daß man glaubt, ſie muͤßten irgendwo vor-
handen ſeyn; und wieder, aus den wirklichen
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/260>, abgerufen am 23.11.2024.
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