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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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ihnen in uns zurück wirft! Man erinnere sich
irgend eines Vorfalls, wo man um eine Lei-
denschaft zu befriedigen, einen Betrug zu
Hülfe genommen, und stelle sich nun vor,
man hätte, anstatt heimlich zu Werke zu gehen,
demjenigen, den man hintergangen, die nacken-
de Wahrheit, sein eigentliches Vorhaben ent-
decken müssen -- wie wird man nicht auffah-
ren und erblassen vor dem bloßen Gedan-
ken! -- Leichtsinn, in Absicht der Wahrheit,
ist Sohn und Vater des Lasters, sein Helm
und Schwerd, und schon die kleinste Lüge eins
der ärgsten Verbrechen gegen uns selbst, gegen
die Menschheit. -- Aber wer könnte zu unsern
Zeiten den unüberlegten Entschluß fassen, nie
eine Unwahrheit sagen zu wollen?

Und hat es nicht zu allen Zeiten Fälle ge-
geben, wo es Trieb der erhabensten Mensch-
heit, wo es Eingebung Gottes war zu lü-
gen? -- "O wer hat diese entsetzliche That
gethan?" -- "Niemand, antwortet Desde-

mona;

ihnen in uns zuruͤck wirft! Man erinnere ſich
irgend eines Vorfalls, wo man um eine Lei-
denſchaft zu befriedigen, einen Betrug zu
Huͤlfe genommen, und ſtelle ſich nun vor,
man haͤtte, anſtatt heimlich zu Werke zu gehen,
demjenigen, den man hintergangen, die nacken-
de Wahrheit, ſein eigentliches Vorhaben ent-
decken muͤſſen — wie wird man nicht auffah-
ren und erblaſſen vor dem bloßen Gedan-
ken! — Leichtſinn, in Abſicht der Wahrheit,
iſt Sohn und Vater des Laſters, ſein Helm
und Schwerd, und ſchon die kleinſte Luͤge eins
der aͤrgſten Verbrechen gegen uns ſelbſt, gegen
die Menſchheit. — Aber wer koͤnnte zu unſern
Zeiten den unuͤberlegten Entſchluß faſſen, nie
eine Unwahrheit ſagen zu wollen?

Und hat es nicht zu allen Zeiten Faͤlle ge-
geben, wo es Trieb der erhabenſten Menſch-
heit, wo es Eingebung Gottes war zu luͤ-
gen? — „O wer hat dieſe entſetzliche That
gethan?” — „Niemand, antwortet Desde-

mona;
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[240/0278] ihnen in uns zuruͤck wirft! Man erinnere ſich irgend eines Vorfalls, wo man um eine Lei- denſchaft zu befriedigen, einen Betrug zu Huͤlfe genommen, und ſtelle ſich nun vor, man haͤtte, anſtatt heimlich zu Werke zu gehen, demjenigen, den man hintergangen, die nacken- de Wahrheit, ſein eigentliches Vorhaben ent- decken muͤſſen — wie wird man nicht auffah- ren und erblaſſen vor dem bloßen Gedan- ken! — Leichtſinn, in Abſicht der Wahrheit, iſt Sohn und Vater des Laſters, ſein Helm und Schwerd, und ſchon die kleinſte Luͤge eins der aͤrgſten Verbrechen gegen uns ſelbſt, gegen die Menſchheit. — Aber wer koͤnnte zu unſern Zeiten den unuͤberlegten Entſchluß faſſen, nie eine Unwahrheit ſagen zu wollen? Und hat es nicht zu allen Zeiten Faͤlle ge- geben, wo es Trieb der erhabenſten Menſch- heit, wo es Eingebung Gottes war zu luͤ- gen? — „O wer hat dieſe entſetzliche That gethan?” — „Niemand, antwortet Desde- mona;

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/278>, abgerufen am 25.11.2024.