Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

saß da so kalt; körperlich gepeinigt von dem
körperlichen Leiden der Kranken; konnte sonst
mit niemanden sympathisiren.

Jetzt kam der Geistliche hinzu, und begann
sein Geschäft. Ich versichere Dir, die gute
Frau zagte nicht der Zukunft wegen, hatte
nicht die mindeste Seelenangst: nur das Dahin-
sterben ihrer Kräfte, die Lebensermattung preßte
ihr manches Ach aus der Brust; und da kam
jedesmal ein Zuruf, ein Spruch, ein Vers aus
einem Liede: was denn nur die ohnmächtigen
Organe zu einem marternden Gebrauche wie-
der anfing, die milde Hand des Todes be-
waffnete, und der Seele wehrte, still und sanft
hinweg zu scheiden. -- O des Wustes von Welt!

Heute nun ist der Verstorbenen wegen ein
Klagen, ein Weinen, auch hier unter den
Meinigen, daß einem um Trost bange wäre,
wenn man nicht wüßte, daß unter allen diesen
Hochbetrübten keiner ist, der nicht der Gat-
tinn, Mutter, Freundinn, bey ihrem Leben

A 2

ſaß da ſo kalt; koͤrperlich gepeinigt von dem
koͤrperlichen Leiden der Kranken; konnte ſonſt
mit niemanden ſympathiſiren.

Jetzt kam der Geiſtliche hinzu, und begann
ſein Geſchaͤft. Ich verſichere Dir, die gute
Frau zagte nicht der Zukunft wegen, hatte
nicht die mindeſte Seelenangſt: nur das Dahin-
ſterben ihrer Kraͤfte, die Lebensermattung preßte
ihr manches Ach aus der Bruſt; und da kam
jedesmal ein Zuruf, ein Spruch, ein Vers aus
einem Liede: was denn nur die ohnmaͤchtigen
Organe zu einem marternden Gebrauche wie-
der anfing, die milde Hand des Todes be-
waffnete, und der Seele wehrte, ſtill und ſanft
hinweg zu ſcheiden. — O des Wuſtes von Welt!

Heute nun iſt der Verſtorbenen wegen ein
Klagen, ein Weinen, auch hier unter den
Meinigen, daß einem um Troſt bange waͤre,
wenn man nicht wuͤßte, daß unter allen dieſen
Hochbetruͤbten keiner iſt, der nicht der Gat-
tinn, Mutter, Freundinn, bey ihrem Leben

A 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="3"/>
&#x017F;aß da &#x017F;o kalt; ko&#x0364;rperlich gepeinigt von dem<lb/>
ko&#x0364;rperlichen Leiden der Kranken; konnte &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
mit niemanden &#x017F;ympathi&#x017F;iren.</p><lb/>
          <p>Jetzt kam der Gei&#x017F;tliche hinzu, und begann<lb/>
&#x017F;ein Ge&#x017F;cha&#x0364;ft. Ich ver&#x017F;ichere Dir, die gute<lb/>
Frau zagte nicht der Zukunft wegen, hatte<lb/>
nicht die minde&#x017F;te Seelenang&#x017F;t: nur das Dahin-<lb/>
&#x017F;terben ihrer Kra&#x0364;fte, die Lebensermattung preßte<lb/>
ihr manches Ach aus der Bru&#x017F;t; und da kam<lb/>
jedesmal ein Zuruf, ein Spruch, ein Vers aus<lb/>
einem Liede: was denn nur die ohnma&#x0364;chtigen<lb/>
Organe zu einem marternden Gebrauche wie-<lb/>
der <choice><sic>aufjug</sic><corr>anfing</corr></choice>, die milde Hand des Todes be-<lb/>
waffnete, und der Seele wehrte, &#x017F;till und &#x017F;anft<lb/>
hinweg zu &#x017F;cheiden. &#x2014; O des Wu&#x017F;tes von Welt!</p><lb/>
          <p>Heute nun i&#x017F;t der Ver&#x017F;torbenen wegen ein<lb/>
Klagen, ein Weinen, auch hier unter den<lb/>
Meinigen, daß einem um Tro&#x017F;t bange wa&#x0364;re,<lb/>
wenn man nicht wu&#x0364;ßte, daß unter allen die&#x017F;en<lb/>
Hochbetru&#x0364;bten keiner i&#x017F;t, der nicht der Gat-<lb/>
tinn, Mutter, Freundinn, bey ihrem Leben<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0041] ſaß da ſo kalt; koͤrperlich gepeinigt von dem koͤrperlichen Leiden der Kranken; konnte ſonſt mit niemanden ſympathiſiren. Jetzt kam der Geiſtliche hinzu, und begann ſein Geſchaͤft. Ich verſichere Dir, die gute Frau zagte nicht der Zukunft wegen, hatte nicht die mindeſte Seelenangſt: nur das Dahin- ſterben ihrer Kraͤfte, die Lebensermattung preßte ihr manches Ach aus der Bruſt; und da kam jedesmal ein Zuruf, ein Spruch, ein Vers aus einem Liede: was denn nur die ohnmaͤchtigen Organe zu einem marternden Gebrauche wie- der anfing, die milde Hand des Todes be- waffnete, und der Seele wehrte, ſtill und ſanft hinweg zu ſcheiden. — O des Wuſtes von Welt! Heute nun iſt der Verſtorbenen wegen ein Klagen, ein Weinen, auch hier unter den Meinigen, daß einem um Troſt bange waͤre, wenn man nicht wuͤßte, daß unter allen dieſen Hochbetruͤbten keiner iſt, der nicht der Gat- tinn, Mutter, Freundinn, bey ihrem Leben A 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/41
Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/41>, abgerufen am 21.11.2024.