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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

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immer zweiffelhaffter, je länger man ihrer
Bewegung, die sie in unserm Gemüthe
macht, nachgiebt, und nach einer kurtzen
Zeit legt sie uns unvermerckt solche Fesseln
an, welche von den wenigsten gebrochen
und abgeschüttelt werden. Jst nun die
Neigung gut, so sind wir glückselige Sclaven
und geniessen in der grösten Knechtschafft
die angenehmste Freiheit: ist aber die
Neigung böß, so ist sie gleich einem grau-
samen Uberwinder, der uns in einen tief-
fen Thurm wirfft, in welchem nichts als
eine unselige und betrübte Finsterniß ist.
Will man diese Wahrheit an Exempeln
erkennen, so stelle man sich ernstlich einen
vor Augen, der wahre Ehre liebt und durch
lange Ubung diese Neigung seinem Ge-
müth fest eingepräget; ein solcher würde
sich gewiß den grösten Zwang anthun müs-
sen, wenn er etwas thun solte, welches ihm
eine wahrhaffte Schande machte. Man
stelle sich ferner einen Menschen vor, in
welchem die Geneigheit zum übermäßigen
trincken durch die Gewohnheit einige Krafft
bekommen. Gewiß sehr selten besiegen
vernünfftige Vorstellungen ein solches ein-
gewurtzeltes Laster. Ja, welches am
mehresten zu verwundern, wenn eine solche

Be-





immer zweiffelhaffter, je laͤnger man ihrer
Bewegung, die ſie in unſerm Gemuͤthe
macht, nachgiebt, und nach einer kurtzen
Zeit legt ſie uns unvermerckt ſolche Feſſeln
an, welche von den wenigſten gebrochen
und abgeſchuͤttelt werden. Jſt nun die
Neigung gut, ſo ſind wir gluͤckſelige Sclaven
und genieſſen in der groͤſten Knechtſchafft
die angenehmſte Freiheit: iſt aber die
Neigung boͤß, ſo iſt ſie gleich einem grau-
ſamen Uberwinder, der uns in einen tief-
fen Thurm wirfft, in welchem nichts als
eine unſelige und betruͤbte Finſterniß iſt.
Will man dieſe Wahrheit an Exempeln
erkennen, ſo ſtelle man ſich ernſtlich einen
vor Augen, der wahre Ehre liebt und durch
lange Ubung dieſe Neigung ſeinem Ge-
muͤth feſt eingepraͤget; ein ſolcher wuͤrde
ſich gewiß den groͤſten Zwang anthun muͤſ-
ſen, wenn er etwas thun ſolte, welches ihm
eine wahrhaffte Schande machte. Man
ſtelle ſich ferner einen Menſchen vor, in
welchem die Geneigheit zum uͤbermaͤßigen
trincken durch die Gewohnheit einige Krafft
bekommen. Gewiß ſehr ſelten beſiegen
vernuͤnfftige Vorſtellungen ein ſolches ein-
gewurtzeltes Laſter. Ja, welches am
mehreſten zu verwundern, wenn eine ſolche

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[148[144]/0180] immer zweiffelhaffter, je laͤnger man ihrer Bewegung, die ſie in unſerm Gemuͤthe macht, nachgiebt, und nach einer kurtzen Zeit legt ſie uns unvermerckt ſolche Feſſeln an, welche von den wenigſten gebrochen und abgeſchuͤttelt werden. Jſt nun die Neigung gut, ſo ſind wir gluͤckſelige Sclaven und genieſſen in der groͤſten Knechtſchafft die angenehmſte Freiheit: iſt aber die Neigung boͤß, ſo iſt ſie gleich einem grau- ſamen Uberwinder, der uns in einen tief- fen Thurm wirfft, in welchem nichts als eine unſelige und betruͤbte Finſterniß iſt. Will man dieſe Wahrheit an Exempeln erkennen, ſo ſtelle man ſich ernſtlich einen vor Augen, der wahre Ehre liebt und durch lange Ubung dieſe Neigung ſeinem Ge- muͤth feſt eingepraͤget; ein ſolcher wuͤrde ſich gewiß den groͤſten Zwang anthun muͤſ- ſen, wenn er etwas thun ſolte, welches ihm eine wahrhaffte Schande machte. Man ſtelle ſich ferner einen Menſchen vor, in welchem die Geneigheit zum uͤbermaͤßigen trincken durch die Gewohnheit einige Krafft bekommen. Gewiß ſehr ſelten beſiegen vernuͤnfftige Vorſtellungen ein ſolches ein- gewurtzeltes Laſter. Ja, welches am mehreſten zu verwundern, wenn eine ſolche Be-

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 148[144]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/180>, abgerufen am 21.11.2024.